Mit Nervengriffen gegen Pistoleros

■ Anti-Terror-Kampf: Grenzen der Belastbarkeit im Training gegen potentielle Dunkelmämmer

Anti-Terror-Trainer Horst Lindemann auf dem Weg zur MatteFoto: K.W.

Stell Dir vor, Dich machen zwei Typen dumm an, der eine zwei Köpfe größer als Du ... Keine Frage: Das gibt Angstschweiß, und diese Vorstellung ist der Ausgangspunkt von Anti-Terror- Kampf. „Ein radikales, direktes Angriffs- nd Verteidigungssystem“, sagt der Werbezettel.

In Bremen findet der Anti-Terror-Kampf im Aikido-Zentrum in der Stresemann-Straße statt. Donnerstag abend: Acht Männer und eine Frau, Altersgruppe zwischen 25 und 35, tänzeln auf der Stelle, laufen im Kreis, machen sich warm. Unendlich langsames Gehen gehört auch zu dem Körpertraining, „sei nicht so streng mit dir“, sagt der Lehrer, der Immobilienmakler Horst Lindemann. Entspannung. „Das Beste ist Lächeln, dann kommt man am

weitesten.“

Und dann geht es los: In Zweiergruppen üben die Anti-Terror- Schüler zu fallen, im Abrollen einen Gegenstand aufzunehmen, sich gegen einen „Gegner“ mit Axt, Messer oder Baseball-Schläger mit schnellen Griffen zu wehren. Wer von hinten klammert, wird an den Ohren gepackt und mit Schwung vornübergeworfen, wer von vorn kommt, dessen Kopf wird kräftig an den Haaren gepackt, zur Seite weg und zu Boden gedreht. Messerabwehr, Stockabwehr, Fußtrittabwehr gehört zu den Übungen für den gelben Gürtel, „Abwehr gegen Würgen am Boden zwischen den Beinen“ bringt schon den Orangegurt.

„Karate war mir zu hart“, sagt ein Kämpfer, spezifisch bei

ATK sind die „Nervengriffe“: Unten an den Oberarmen, unter den Ohren und an anderen Körperstellen gibt es empfindliche Nervenpunkte, die bei der Selbstverteidigung ohne Verletzungsrisiko für den „Gegner“ ausgenutzt werden durch „schockierende, überraschende“ Griffe.

Daß es keine spefischen Frauen-Gruppen gibt, ist Programm bei ATK: „Eine Frau will sich auf der Straße gegen einen Mann wehren“, sagt Clubleiter Frank Burdorf. Das und nichts weniger muß sie auf der Matte lernen.

Der Gegner ist überall präsent bei dem ATK-Kampfsport. Nur wenige sind wirklich auf der Straße einmal angegriffen worden, die meisten kennen aber Geschichten von anderen, die unverschuldet in ganz böse Lagen gerieten — „dann stehst Du da mit Deinem Schnupperkurs“, erklärt einer mitleidsvoll. Oder man kann sich eben doch wehren wie die 19jährige Frau, von der erzählt wird, daß sie im Steintor auf der Straße von drei Typen angegriffen wurde: „Die tun das nie wieder“, sagt ein ATK-Kämpfer stolz.

Organisiert sind die ATK- Selbstverteidiger in der Budo Akademie Europa (BAE) mit Sitz in Wilhelmshaven. Meister dort und Kopf der privatwirtschaftlichen Organisation ist Horst Weiland, Teilnehmer am 2. Weltkrieg, nach der russischen Gefangenschaft in der Fremdenlegion in Algerien weiter im Kampf. 1963 gründete er die Organisation unter dem Namen „Terror- Kampf“. 1970, als das BKA die Mitgliederkartei nach RAF-Sympatisanten durchsuchte, setze er das „Anti“ vor den Gruppennamen. „Der Name verkauft sich nicht gut“, sagen ATK-Mitglieder. Der schockierende Name lockt Interessenten an, sagen andere. Jedenfalls hängt der Name an dem alten Meister: „Überall ist Terror“, sagt Horst Weiland, „etwa wenn ein Kind über Bänke springt“, in jeder normale Ehe...

Warum also nicht Antiterror- Kampf. Anti-Terror-Kampf läßt sich in alle Fremdsprachen übersetzen, die BAE ist eine europäische Bewegung. Sorge, daß der Name die falschen anlockt, hat Chef Weiland nicht. Skinheads etwa „würden nicht hereinkommen bei uns“. Und wollen offenbar auch nicht: „Die kommen nicht ein Jahr lang zum Training, um fallen zu lernen“ weiß Weiland, „die kaufen sich lieber eine Kette. Die halten das Training gar nicht durch.“

Einmal, als es um Selbstverteidigung gegen den Gegner mit vorgehaltener Pistole ging und der Lehrer Lindemann die Frage stellte: „Was machst du dann?“, da rutschte es schon einem raus: „Dann ziehe ich meine 45er.“ „Das läßt du lieber“, sagt der Lehrer, geschult werden hier Körperdrehungen, schnelle Tricks — und psychologische Situationsschulung. Wer hundert Mal in den Lauf der Holzpistole geguckt hat, hat vielleicht eine Chance, auch angesichts einer echten Pistole ruhig zu bleiben und überlegt zu reagieren. Und wenn es nicht anders geht, dann lernt der ATK-Kämpfer im zweiten Jahr auch zuzuschlagen, „wenn, dann konsequent“. Zum BAE gehört später dann auch der „Survival“-Lehrgang. „Es regnete in Strömen, die Landschaft wurde fast zum Sumpf, die Wege waren plötzlich Bäche — und acht Stunden Marsch mit Kompaß in diesem Gelände — das war der erste Tag des Herbst-Camps der BAE-Landesgruppe Süd...“ Die Grenzen der Belastbarkeit nicht nur vor der Glotze prickelnd zu sehen, sondern sie am eigenen Körper zu erleben, darin liegt der Reiz dieses Survival-Trainings.

Der Kurs endet mit einer Minute Stille im Knie-Sitz: Durchatmen, entspannen. Horst Weiland ist auch Jiu Jitsu-Meister (9. DAN). Alle BAE-Mitglieder lernen im Verlaufe der Jahre auch die asiatischen Techniken — Bojutsu, Karate, Taekwon-Do, auch Yoga. Zum Anti-Terror-Kampf gehört die demütige besinnliche Körperhaltung eigentlich nicht, findet Weiland, „ein Europäer kniet nicht.“ Normaler Gruß, kurze Verbeugung vor dem Lehrer reichen aus. K.W.