Konservativ gewählt

■ In Japan steht die politische Klasse dennoch vor dem Generationswechsel

Konservativ gewählt In Japan steht die politische Klasse dennoch vor dem Generationswechsel

In Deutschland, Frankreich und Italien kriseln die Parteiensysteme der alten Demokratien. In den USA hat Ross Perot dem Präsidialsystem einen nicht überwundenen Schlag versetzt. Überall stehen die westlichen Demokratien nach Ende des Kalten Krieges vor der Zerreißprobe. Überall? Nein. In Japan ist alles anders. Zwar gibt es auch dort neue Parteien und unabhängige Kandidaten. Doch die bleiben wie eh und je chancenlos. Auf eindrucksvolle Weise bestätigten die JapanerInnen bei den gestrigen Parlamentswahlen ihr seit Kriegsende erprobtes Regierungssystem. Eine Partei wie die Liberaldemokraten, die seit vierzig Jahren regiert und es noch immer schafft, die Hälfte der WählerInnen hinter sich zu scharen, ohne dabei den Extremisten Vorschub zu leisten — wo im Westen gibt es noch heute eine vergleichbare politische Stabilität?

Freilich, das japanische Stabilitätsprinzip gleicht von außen gesehen einer demokratisch geschminkten Einparteienherrschaft. Die alte Herrenriege der Liberaldemokraten verstärkt den Eindruck der politischen Verknöcherung. Kann es Demokratie überhaupt geben ohne eine Chance für die Opposition? Die Liberaldemokraten waren nie ohne Antwort auf diese Frage. Sie praktizieren noch heute den Regierungswechsel innerhalb der Parteifraktionen. Und sie haben im Laufe der Jahre dazugelernt: Jahrzehntelang eine Partei, die den großen Unternehmen des Landes jeden Vorzug einräumte, machen sie heute auch Politik für Angestellte und Verbraucher. Der neue Fünfjahresplan, der den JapanerInnen eine Jahresarbeitszeit von 1.800 Stunden sichern soll (bisher lag die Zahl weit über 2.000), ist ein großer Schritt in Richtung westliche Konsumgesellschaft. Mit der Arbeitszeitverkürzung aber haben die Liberaldemokraten eine der wirklich zentralen Forderungen der Opposition längst für sich vereinnahmt. Die japanische Politik ist nie so unbeweglich, wie sie erscheint.

Nur an der oberflächigen Decke der Parteiformationen bietet sich das immer gleiche, erstarrte Bild. In Wirklichkeit steht die politische Klasse des Landes kurz vor einem Generationswechsel, der einem Regierungswechsel gleichkommen wird. Denn mit Miyazawa bei den Liberaldemokraten und Tanabe bei den Sozialdemokraten regieren heute noch die Führer der Nachkriegsgeneration. Doch innerhalb eines Jahres müssen vermutlich beide weichen. Mit dem ehemaligen Parteisekretär Ichiro Ozawa (49) und Ex-Finanzminister Ryutaro Hashimoto (54) stehen dann zumindest bei den Liberaldemokraten Leute vom Kaliber der Clintons und Gores in den Startlöchern.

Kein Wunder also, daß die JapanerInnen gestern liberaldemokratisch wählten. In einer Zeit, wo der Westen kein überzeugendes politisches Modell mehr bietet, bleibt auch die japanische Opposition chancenlos. Georg Blume, Tokio