: Gesamtlibanese gegen Opportunist
In Vorbereitung auf Libanons erste Parlamentswahlen seit 1975 rangeln die verschiedenen Christen-Fraktionen um Macht und Einfluß im zukünftigen Libanon ■ Aus Kairo Ivesa Lübben
Im August und September wird der Libanon seine ersten Parlamentswahlen seit Beginn des Bürgerkrieges im Jahre 1975 erleben. Unmittelbar nachdem sich US-Außenminister James Baker in Damaskus mit dem syrischen Präsidenten Assad und mit dem libanesischen Präsidenten Hrawi in dessen Heimatstadt Zahle getroffen hatte, gab die libanesische Regierung am letzten Freitag die Wahltermine für die Wahlen bekannt: Am 23. August wird in Nordlibanon und der Bekaaebene gewählt, am 30. August in Beirut und in den Bergen und am 6. Setember im Süden. US-Beobachter sollen die Wahlen überwachen.
Die Wahlen seien eine interne libanesische Angelegenheit, erklärte Baker in Beirut. So ganz stimmt das nicht, denn es waren weniger interne Gründe, die den Wahltermin immer wieder hinauszögerten, sondern amerikanisch-syrische Differenzen, die nun beigelegt zu sein scheinen. Die Syrer wollten Wahlen so schell wie möglich, während die Amerikaner die Wahlen so weit wie möglich hinauszögern wollten.
Der Grund: Die Syrer hofften, daß aus Wahlen unter ihrer zumindest indirekten Kontrolle eine ihnen wohlgesonnene Regierung hervorgehen würde. Mit dieser könnten sie dann über die Art und Weise der Umgruppierung ihrer Truppen erneut und zu Gunsten ihres strategischen Einflusses im Nachbarland verhandeln. In dem vor drei Jahren abgeschlossenen Taif-Abkommen zur Beendigung des libanesischen Bürgerkrieges ist vorgesehen, daß die Syrer im September 1992 nach nochmaliger Absprache mit der libanesischen Regierung ihre Truppen aus Beirut in die Bekaa-Ebene zurückziehen müssen. Die Bush-Administration umgekehrt drängte auf den bedingungslosen und termingerechten Rückzug der syrischen Truppen in die Bekaa-Ebene. Erst danach sollten Wahlen stattfinden, weit weg von jedem syrischen Einfluß.
Der jetzige Termin ist ein Kompromiß: Die Amerikaner haben beim Wahltermin nachgegeben, die Syrer haben sich verpflichtet, daß die Truppenumgruppierung termingerecht und den Buchstaben des Taif- Abkommens entsprechend erfolgt.
Knackpunkt Syrien
Opposition gegen den Wahltermin kommt in Libanon selbst vor allem aus dem christlichen Lager. Am letzten Donnerstag legte ein Generalstreik gegen das Wahlgesetz das christliche Ostbeirut und die angrenzenden Gebiete lahm. Aufgerufen zu dem Streik hatte der Christenführer General Michel Aoun aus seinem Marseiller Exil, in das ihn vor drei Jahren sein Gegner Samir Geagea, der Führer der libanesischen Phalangisten, in einer konzertierten Aktion mit Syrien vertrieben hatte. Dem Streik schlossen sich die anderen christlichen Kräfte an — Geageas Phalangisten, die von George Saade geführte „Kataeb“, christliche Persönlichkeiten wie Ex-Präsident Amin Gemayel, der im Exil lebende Politiker Raymand Edde und das geistige Oberhaupt der libanesischen Maroniten Patriach Sfeir.
Von einer christlichen Einheitsfront gegen die Wahlen kann indes nicht die Rede sein — zu unterschiedlich sind die Interessen. Für Aoun sind freie Wahlen solange nicht möglich, wie nicht der letzte syrische Soldat Libanon verlassen hat und er selber nicht in die Heimat zurückkehren kann. Aoun wäre mit Sicherheit einer der großen Wahlsieger. Er erfreut sich großer Beliebtheit nicht nur unter den Christen, sondern auch unter sunnitischen Kreisen in Westbeirut. Er gilt im Libanon als autoritärer Saubermann, der sich nicht wie die anderen Milizführer die Finger in Korruptionsgeschäften dreckig gemacht hat. Aoun verstand sich selbst nie als Christenführer, sondern als Verfolger eines gesamtlibanesischen Projekts, das die alten Konfessionslinien überwinden sollte.
Phalangistenführer Geagea hat anderes im Kopf. Für ihn ist die Drohung mit dem Wahlboykott eher so etwas wie verstecke Wahlkampfstrategie. Geagea weiß, daß er aus freien Wahlen als einer der Hauptverlierer hervorgehen wird. Aus diesem Grund möchte er mit Syrien ins Gespräch kommen, denen ihrerseits ein Wahlboykott kaum gelegen kommt, da er die Legitimität einer neugewählten Regierung mit großen Fragezeichen versehen würde. Die versteckte Botschaft Geageas an Damaskus: Erkennt mich als Führer des christlich-maronitischen Lagers an, und ich bin bereit, in eurem Spiel mitzumischen. Wiederum soll ihm Syrien zum Sieg über Aoun verhelfen — diesmal nicht auf militärischem, sondern auf politischem Wege.
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