Es hört sich schon bieder an

■ Paul Lindsay, der normalste Musiker der Welt, über Handwerk, Not und Gebot

Paul Lindsay, Lokalmatador, macht eingängige Musik, „englischen mainstream, middle of the road“, sagt er. Ohrwürmer, die sich im Kopf festfressen, und doch sind die Konzerte eher mager besucht. „Das klingt verrückt“, sagt Lindsay, „wir machen Musik, die sehr populär ist, aber trotzdem fallen wir durch das Raster.“

Eine deutsche Band mit englischen Texten, die nicht nur Cover-Versionen von bekannten Hits spielt — das paßt weder ins Radio noch in die Programme der Veranstalter. „Du mußt dir erst einen Namen machen, dazu brauchst Du eine Platte, und dann erst bist Du im Geschäft.“

Eine Platte. „Man kommt eher in den Himmel, als daß man einen Plattenvertrag bei einer großen Firma kriegt.“ Einfach eine Demokassette bespielen und hinschicken, das kann man sich gleich sparen. Lindsay und Band haben Glück. Über den Gitarristen der Band haben sie Kontakt zu einem der führenden Studios mitten in der Hamburger Szene.

Eine Stufe höher geklettert: „Wenn ein bekannter Name hinter einer Band steht, dann hast du vielleicht die Chance, daß irgendeiner von einer Firma deine Musik überhaupt erstmal anhört.“ Aber dort werde alles an dem gemessen, was im Radio läuft. Welcher deutsche Musiker kann es schon mit Genesis oder Springsteen aufnehmen? „Wir müssen die Produzenten erst mal überzeugen, daß wir mit denen konkurrieren können.“

Mit seinen 38 Jahren verkörpert Lindsay eine Mischung zwischen altem Hasen und Newcomer. Er ist in Nordirland geboren, als Jugendlicher nach England gegangen und hat schon früh mit dem Komponieren begonnen. „Und als ich so 22, 23 Jahre alt war, in einem Alter, wo man denkt, man kann alles, da bin ich in die Staaten gegangen.“

Tagsüber Tellerwäscher, nachts Musik, ohne Papiere — „Nach zwei Jahren bin ich dann dermaßen auf die Schnauze gefallen, daß ich mit Musik nichts mehr zu tun haben wollte. Nie wieder Musik, das Gegenteil von den USA, ein ganz normaler

Paul Lindsay: Der Erfolg bleibt hartnäckig ausFoto: Archiv

Mensch werden — Englischlehrer in Finnland. Plötzlich war da ein Job, eine Versicherung, eine kleine Wohnung, Familie. „Das ist ganz schnell gegangen. Aber kennst du Finnland? Da ist der Hund begraben und eingefroren.“ Aber da war noch das Fieber, und schon nach kurzer Zeit brach die Musik wieder an die Oberfläche.

„Es gibt Dinge im Leben, die mußt du einfach machen. Musik ist mein Abenteuer.“ Gesucht

Nie wieder USA, und das Gegenteil von Musik: also als Englischlehrer nach Finnland

war eine Stadt mit Arbeit, Bekannten, Kneipen, und das wurde Bremen vor sieben Jahren. Mit dem Umzug verband sich der feste Entschluß, es noch einmal im Musikgeschäft zu versuchen.

Doch die Bremer Musikszene ist nicht gemacht für einen Sänger und Songwriter, der klingt wie die Hits im Radio. Und schon gar nicht für einen Vater von zwei Kindern, der sich und seine Familie mit Englischunterricht über Wasser hält. „Ich kann nicht jeden Abend auf die Piste und Kontakte knüpfen. Ich habe auch nicht

hierhin den

lässigen

Mann im dunklen

Anzug

mehr den Enthusiasmus, für nichts an jedem Wochenende das schwere Equipment durch die Gegend zu schleppen und die Stimme kaputtzusingen.“

Die Auftritte. Für Musiker seiner Generation ist da wenig zu holen. Der Traum von einer ausverkauften Schauburg oder dem Modernes, „aber zu welchem Anlaß, wenn du noch keinen Namen hast?“ Auf Feten spielen die Cover-Bands, da kennt man alle Titel, und die gute Laune ist vorprogrammiert. Der Auftritt neulich in der Buchtstraße und das gute Feedback von den Kollegen, das war wichtig fürs Ego, „aber da ist die Grenze in Bremen, wenn man nicht Independent-Musik macht.“ Die Szene hält zusammen. „Ich hör das nicht. Was ich mache, hört sich dagegen bieder an. Für uns geht es nur in Hamburg weiter.“

Jedes Stück, das er singt, hat er selber geschrieben. Mit Pop hat er schon in England angefangen, und seitdem ist die Produktivität nicht abgerissen. „Die meisten Songs, die ich geschrieben habe, die Experimente mit dem Computer das war alles Handwerk.“ Die Computer hat er vor zwei Jahren in die Ecke gestellt.

Man kann sich zwar für viel Geld ein geräuschfreies Heimstudio in das Schlafzimmer stellen, sagt er, aber das ist ein einsames Geschäft. Der Kontakt geht verloren und damit der kreative Reiz. „Man tauscht zwar den Knopfdruck gegen den verrauchten Wahnsinn“, sinniert er, „aber ich bin trotzdem froh, von dem Kram weg zu sein.“

Jetzt sind wieder mehr Emotionen und weniger Maschinen im Spiel. Den Drei-Minuten-Standard könne man erreichen, wenn man gut ist, sagt er. „Aber dann kommt das Schwierigste und das Aufregendste: Dann mußt du deinen eigenen Stil finden.“ Vor zwei Jahren hat er in der Krise gesteckt. Mit den elektronischen Mitspielern hat die Kommunikation nicht mehr geklappt. „Da hat mich im Bus zum Flughafen Heathrow ein alter Typ angesprochen. Er wäre früher im Musikbusiness gewesen. Ich weiß, das klingt wie ein Märchen, aber er hat mir gesagt: Vergiß den Kram der anderen. Wo du herkommst, das ist deine Musik. Ich bin jetzt 38 Jahre alt. Zum erstenmal bin ich dabei, meine Musik zu machen.“ Jochen Grabler