„Wir stehen endgültig unter russischer Herrschaft“

100 schwerbewaffnete Soldaten belagern das moldovanische Parlamentsgebäude in Chisinau/ Die Bevölkerung scheint davon kaum Notiz zu nehmen/ Zentrale Forderung der Demonstranten: Keine Teilnahme Rußlands am Friedenskorridor zum Dnjestr  ■ Aus Chisinau Keno Verseck

Die Soldaten haben ihre Kalaschnikows zu einem Kegel zusammengestellt und es sich im Gras bequem gemacht. Daneben, auf einem ihrer klapprigen Lkws, weht die rumänische Fahne. Fast ausnahmslos 18- bis 20jährige mit Kindergesichtern stecken in den Uniformen. Sie alle haben sich freiwillig zur Front gemeldet, um „unsere Familien gegen die russischen Invasoren zu verteidigen“. Auf der anderen Straßenseite haben Polizisten den Boulevard für SympathisantInnen gesperrt und langweilen sich in der Mittagssonne. Die Schützenpanzerwagen sind am frühen Morgen wieder abgezogen — Szenen vor dem Parlament in Chisinau, der Hauptstadt Moldovas, Szenen am Sonntag, die an einen Militärputsch erinnern.

Kein Putsch sei das hier, sondern eine „friedliche Demonstration“, beteuern die knapp 100 schwerbewaffneten Soldaten. Schon am vergangenen Freitag waren sie von der Dnjestr-Front nach Chisinau gezogen, um gegen das russisch-moldovanische Abkommen zu protestieren. Dies hatten die Präsidenten Snegur und Jelzin zur Beilegung des Transnistrien-Konfliktes am 19. Juli unterzeichnet. Noch bis heute abend soll die Belagerung dauern, bis zum Ende einer Parlamentsdebatte, die über ihre Forderungen beraten will. Was die Demonstranten wollen? Vor allem, daß Rußland nicht an der Sicherung des geplanten Friedenskorridors zum Dnjestr beteiligt wird. Außerdem solle Moldova von der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) strickt getrennt werden.

In den Augen der Soldaten und ihrer etwa dreihundert UnterstützerInnen kommt Snegurs Unterschrift einer Aufgabe der moldovanischen Souveränität gleich. „Jetzt stehen wir endgültig unter russischer Herrschaft“, schimpft einer der Soldaten. Ob die 14. russische Armee aus Transnistrien abziehe, bleibe nämlich weiterhin ungeklärt. Auch seien in der Friedenstruppe, die in Bendery, der meistumkämpften Stadt am Djnestr, stationiert werden soll, die moldovanischen Kräfte unterrepräsentiert. Damit die „prokommunistischen Separatisten“ aus Transnistrien verschwänden, so die Soldaten, müsse eine internationale Friedenstruppe her.

Auf die Frage, wer sie vor das Parlament gerufen habe, antworten die meisten, sie seien von sich aus gekommen. Nach der Meinung des Präsidenten Snegur und vieler Beobachter des Geschehens jedoch heißt der unsichtbare Organisator im Hintergrund „Christlich-Demokratische Volksfront“ (FPCD), eine moldovanische Organisation, die zwischen 10.000 und 40.000 Anhänger hat.

Vereint hat sich in der Volksfront 1989 die moldovanische Nationalbewegung. Seitdem ist die FPCD immer mehr auf nationalistischen Kurs geschwenkt und fordert entgegen der Bevölkerungsmehrheit eine sofortige Wiedervereinigung mit Rumänien. Gleichzeitig will sie Ex-Kommunisten wie Präsident Snegur und Regierungsmitglieder, die auf Unabhängigkeit setzen, aus der Macht drängen. Für die Volksfront, die in Rumänien sowohl Kontakt zu der ultranationalistischen Organisation „Vatra Romaneasca“ als auch zum oppositionellen Wahlbündnis „Demokratische Konvention“ hält, bedeutet das Jelzin-Snegur-Abkommen einen Strich durch die schnelle Wiedervereinigungsrechnung. Mit dem Aufmarsch bewaffneter Soldaten soll offensichtlich der beginnende Entspannungsprozeß untergraben werden, der die Unabhängigkeit Moldovas und eine stärkere Integration in die GUS vorsieht. Ein Dorn im Auge ist der Volksfront auch der Passus des Abkommens, der im Falle einer späteren Wiedervereinigung der Bevölkerung Transnistriens die Möglichkeit gibt, selbst zu entscheiden, ob sie Rumänien angehören will. Denn aus Transnistrien ist ein sicheres Nein zu erwarten.

Auch für Präsident Snegur geht es bei dem Friedensabkommen um Machterhalt. Er und die kürzlich zurückgetretene Regierung — über die neue stimmt heute das Parlament ab— haben den Transnistrien-Konflikt eher noch verschärft. Die Bevölkerung aber ist des Krieges längst müde geworden — schon die Ende Mai angeordnete Generalmobilmachung wurde von vielen nicht mehr befolgt.

Ohnehin leben die Nationalitäten auf der rechten Seite des Dnjestr friedlicher zusammen, als der Konflikt ahnen läßt. Die meisten sind der Meinung, es handele sich um Kämpfe rivalisierender Politiker. Überhaupt interessieren sich die Menschen in Chisinau mehr für den großen Markt an der Armenischen Straße. Hier ist all das zu haben, was staatliche Läden längst nicht mehr bieten — Gemüse, Zigaretten, Fleisch, Textilien. So blicken Schaulustige die Demonstranten vor dem Parlament von weitem ebenso neugierig wie verständnislos an — um dann weiterzuschlendern.