Westniveau — auch bei den Kosten

■ Die Zeiten kostenloser Grundversorgung im Gesundheitswesen sind im Osten endgültig vorbei

Berlin (taz) — Noch klafft in den Krankenkassen der östlichen Bundesländer kein riesiges Loch — so wie im Westen. Dennoch müssen sich 1.050 Menschen einen Kassenarzt teilen, während es in den alten Bundesländern nur 860 sind. „Aber die Situation verbessert sich laufend“, so Gesundheitsminister Seehofer gestern bei einer Pressekonferenz in Berlin. Auch an anderer Stelle nähert sich die Bilanz im Osten der kostenintensiveren im Westen: Während in den neuen Ländern auf 100 Versicherte 24 mitversicherte Familienmitglieder kommen, sind es in den alten genau doppelt so viele. „Da wird eine Anpassung ans Westniveau stattfinden“, prognostizierte Seehofer mit Blick auf die wachsende Arbeitslosigkeit.

Weil aber mit der Einführung des westlichen Gesundheitswesens auch die explodierenden Kosten nicht mehr lange auf sich warten lassen dürften, soll das Kabinett am 12. August die Gesundheitsreform auch für die neuen Bundesländer absegnen: Die Zeiten kostenloser Grundversorgung sind endgültig vorbei.

Wer im Osten als Alleinstehende/r mehr als 840 Mark brutto verdient, muß demnächst sein Gebiß zum großen Teil selbst bezahlen; im Westen sind immerhin 1.400 Mark zuzahlungsfrei. Seehofer begründet diesen großen Unterschied damit, daß auch die Honorare der Ostärzte niedriger sind als die ihrer Westkollegen — und somit auch der Anteil, den der Patient zu tragen hat. Bei der Zuzahlung für Medikamente soll hingegen eine einheitliche Einkommensgrenze von 1.400 Mark gelten, weil die Pharmakonzerne in ganz Deutschland die gleichen Preise verlangen können.

Das Geschrei der Ärzteschaft angesichts der Seehofer-Pläne ist ohrenbetäubend: Die Kommandowirtschaft aus der DDR kehre wieder, viele gerade eröffnete Praxen seien gefährdet. Tatsächlich aber müssen die ÄrztInnen sich lediglich mit gleichen Einkommenszuwächsen wie die DurchschnittsverdienerInnen begnügen. Im nächsten Jahr erwartet Seehofer 35 Prozent mehr als heute im Honorartopf der Ostärzte: „Da sind keine Praxisschließungen zu befürchten.“

Während aber das „freiheitliche, pluralistische Gesundheitssystem“ im Eiltempo im Osten eingeführt wurde, wird die dringend nötige Krankenkassenreform noch länger auf sich warten lassen. Zwar sieht auch Seehofer das Problem der „Spreizung der Krankenkassenbeiträge“: Ein AOK-Mitglied in Dortmund muß beispielsweise 17 Prozent, ein Ersatzkassenmitglied in Ingolstadt lediglich 9 Prozent seines Lohns an die Krankenkasse überweisen. Aber, so der Minister, erst in ein oder zwei Jahren seien die Zahlen verfügbar, auf deren Grundlage ein Finanzausgleich zwischen den verschiedenen Kassen und Ländern planbar sei. aje