Das Bremer Solo

■ Der Hamburger Architekturhistoriker Wolfgang Voigt untersuchte die Besonderheiten des Bremer Städtebaus

untersuchte die Besonderheiten des Bremer Städtebaus

Der bekannteste Stadtteil Bremens ist mit Sicherheit das Ostertor. Die Atmosphäre von smarter Gemütlichkeit und kleinbürgerlicher Wärme verdankt das Viertel vornehmlich einem bestimmten Baustil, der hier noch in relativ zusammenhängendem Bestand vorhanden ist: dem Bremer Haus. In den Siebzigern ursprünglich zur Kahlschlagsanierung bestimmt, hatte eine breite Bürgerbewegung den Erhalt des Quartiers erkämpft, das heute mit seinen unzähligen Kneipen und Veranstaltungsorten zum Aushängeschild der Bremer Lebensart geworden ist.

Der Entwicklung dieses speziellen Reihenhausstils, der mit seiner schmalen, niedrigen Bauart dem zeitgleichen Mietskasernenstil in Berlin und Hamburg diametral entgegenstand, beschreibt der Hamburger Wolfgang Voigt in seinem Buch Das Bremer Haus. In dieser jüngsten Veröffentlichung aus der

1Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs verfolgt Voigt die Bremer Baugeschichte von der Gründerzeit bis zum Wiederaufbau.

Die besonderen Merkmale der regionalen Entwicklung in der Hansestadt - kleinteilige Bauweise, wenige Mietparteien und Hausbesitz auch durch Niedrigverdiener - war das Resultat einer frühzeitig staatlich gesteuerten Baupolitik und der besonderen Lage und ökonomischen Situation Bremens. Schon 1849 verhinderte die Bauordnung die Ausbreitung des Vielparteien- Wohnhauses. Man war in Bremen damals der Meinung, daß dieser sich in Deutschland gerade ausbreitende Kasernenstil „nicht nur ein Proletariat heranziehen, sondern auch die wilden Ehen noch befördern“ würde. Folglich orientierte man sich in Bremen mehr an der kleinhäusigen Bauentwicklung Englands, Belgiens und Hollands.

Durch die außerordentlichen

1überseeischen Handelsgewinne der Seefahrerstadt und verstärkt durch die Schwierigkeiten, die Bremer Goldwährung außerhalb des eigenen Zollgebietes anzulegen, entstand ein Überfluß an Geld, der zu überaus günstigen Hypothekenkrediten führte. Diese ermöglichten auch vielen Arbeiterfamilien den eigenen Hausbesitz.

Voigt zeichnet in dem reich bebilderten Band nun detailiert die Auseinandersetzungen um Bauen, Wohnen und Besitzen in Bremen durch knapp hundert Jahre nach. Sein besonderes Augenmerk gilt den verschiedenen Wohnungsreformen und den Reibungen zwischen der Bremer Tradition und parallelen Entwicklungen in Architektur und Stadtplanung. Hamburg und Berlin werden hier immer wieder als Beispiele für konträre Modelle eingeführt. Die Auseinandersetzung mit der „Moderne“, sowohl in ihren ästhetischen Ansprüchen, als auch in ihren wohnpolitischen Prämissen, wirft hier ein besonderes Schlaglicht auf das Bremer Solo. So wurden die ersten beiden, sehr gemäßigt „modernen“ Wohnhäuser in Bremen mit hitzigen Attacken bekämpft. Kein Wunder, daß sich die neue Architektur, mit Ausnahme einiger Gewerkschaftsbauten, dort nie durchsetzen konnte.

Wolfgang Voigt gelingt mit dieser Arbeit eine fundierte Darstellung des Bremer Städtebaus, die lediglich durch ihre detailierte Informiertheit stellenweise etwas trocken wirkt. Für wissensdurstige Bremophile aber ist Das Bremer Haus eine durchweg lohnende Anschaffung. Till Briegleb

Junius Verlag, 192 Seiten, 58 Mark