Vom Pornoschuppen zum Palais Schauburg

■ 10 Jahre Schauburg: Die größten Flops, die schönsten Kinogeschichten, die besiegtesten Feinde / Manfred Bocki im Interview

Manfred Bocki, einer der beiden SchauburgherrenFoto: Jörg Oberheide

Am 3. September wird die Schauburg, ein Kino, auf das anfangs kaum jemand einen Pfifferling setzen wollte, 10 Jahre alt. Seit sechs Jahren ist Manfred Bocki, zusammen mit Holger Mertins, Geschäftsführer des Hauses. Der taz erzählte er alles über die intrigante Kinowelt und die schöne neue Schauburg nach dem Jubiläums-Umbau.

taz: Was war die Schauburg vor eurer Zeit?

Manfred Bocki: Die Schauburg war zuletzt, wie übrigens auch das Modernes, ein Porno-Kino von Billerbeck, dem heut noch Europa und City gehören. Aber Pornos liefen hier überhaupt nicht, das hätte plüschiger sein müssen. Hier sitzt du in einem Riesensaal, und jeder sieht dich. Das Kino war ja mal das erste Tontheater Bremens überhaupt, gebaut 1929, und speziell für Erstaufführungen angelegt.

In der großen Zeit.

Ja, das muß ganz irre gewesen sein, da gibt's Bilder, wie die Stars in Kolonnen vom Hauptbahnhof hierher zur Premiere gefahren kamen, Hans Albers zum Beispiel, und die Straßen waren alle abgesperrt; ein besonders schönes zeigt, wie ein Polizist sich beidbeinig von innen gegen

hierhin bitte

den Mann im

Kinosaal

die Tür stemmt, um dem Andrang Herr zu werden. Aber dann, in den Sechzigern, kam das ganz normale Kinosterben, dem zum Beispiel das Kino beim Café Engel, wo jetzt Penny drin ist, ganz zum Opfer fiel.

Und wer ist dann mit der Idee niedergekommen, was neues aus der alten Schauburg zu machen?

Das war ein Verein um Holger Mertins, Volker Steppat, Peter Schulze; die pachteten dann nach langen Verhandlungen das Haus, und damit fingen die Schwierigkeiten natürlich erst an. In den ersten drei, vier Jahren kriegten wir so gut wie keine Erstaufführung, es sei denn, niemand sonst in Bremen wollte diesen Film spielen. Wir sind dann eben auf Heinz- Rühmann-Reihen ausgewichen, die auch gut gingen, und haben klassisches Programm-Kino gemacht, übrigens auch von Anfang an mit Konzerten zwischendrin. Damals allerdings haben wir die auch noch selber veranstaltet; das hat sich aber, nachdem wir endlich Licht ins Dunkel unsrer Finanzen gebracht hatten, als ziemliches Verlustgeschäft erwiesen; jetzt, seit wir eine ordentliche GmbH sind, vermieten wir nur noch unsern Saal, und damit hat sich's. Damit ist auch der alte Streit zwischen Kinofraktion und Konzertfraktion im Verein beige

legt. Da ist es immer wieder zu Reibereien gekommen.

Gab es kriegerische Auseinandersetzungen mit den hiesigen Kinokonkurrenten?

Ganz massiv. Das Cinema hat uns mächtig angefeindet, und der Setje, der in einigen Gremien saß, hat dafür gesorgt, daß wir keine interessanten Sachen kriegten. Das gibt's jetzt auch noch; da sagt einer: Nee, die Schauburg kriegt diesen Film nicht, dann läuft der eine Woche im UT 7, und dann fliegt er eben wieder raus. Aber unsere Stärke auf dem Markt hat schon zugenommen.

Hattet ihr auch die gefürchteten Anfangskatastrophen zu durchleiden?

Katastrophen? Immer. Irgendwas immer, und sei es, daß Samstag abends Vorhang aufgeht, und plötzlich reißt das Drahtseil, und der Vorhang hängt so halb in der Leinwand und muß mühsam rausgeschnitten werden. Und wenn's mal ruhig bleibt, ist der nächste Buttersäureanschlag nicht weit.

Was waren denn unter euren Filmen die größten Flops?

Einer läuft gerade: In „Proof“ sitzen kaum mal mehr als zehn Leute. Oder „Madonna“ letztes Jahr ging absolut schief. Aber seit wir das kleine Haus haben, können wir eine größere Auswahl von Filmen ordern und schieben die weniger besuchten nach einer Woche einfach rüber. Früher, als wir immer den großen Saal füllen mußten, war das schon manchmal schrecklich; da hatten wir nach dem dritten Flop in Serie einfach keine Filme mehr.

Wie verteilen sich all die Filme eigentlich auf all die Kinos?

Ziemlich früh jedenfalls. Wir starten am 15. Oktober den „Kolumbus“ und haben den Vertrag schon seit über einem Jahr. Da hatten die den Film noch nicht mal angefangen. Das heißt: es gibt die Geschichte, einen Regisseur, in diesem Fall Ridley Scott, und ein paar Schauspieler, in diesem Fall Depardieu. Da wußten wir natürlich: Den Film wollen wir haben. In der Regel interessiert man sich für mehr Filme, als man direkt brauchen kann, weil sich bei diesen frühen Planungen schon mal was verschiebt. Aber wenn alles klappt, dann sind wir bis Januar schon ausgebucht. Und die Filmverleiher bringen grad ihre Angebotsstaffeln für '93 raus.

Und wie kommt ihr an die lukrativen Filme, die alle wollen?

Bei den großen amerikanischen Companies können wir uns immer noch den Anruf sparen. Warner gäbe uns nie eine Erstaufführung; das teilen die Innenstadtkinos unter sich auf, die treffen sich in regelmäßigen Abständen. Also Filme wie „Batman“ kriegen wir nicht, ganz abgesehen davon, daß wir sie nicht mal wollen; sowas schnappt sich zum Beispiel bundesweit die UFA mit 250 von 300 Kopien, und den Rest kriegt Flebbe, wo er stark ist und die UFA keine Chance hat, zum Beispiel in Hannover; nachspielen dürfen wir aber alles. Wenn die Filme mal abgenudelt sind, sind sie für alle frei. Aber Premieren kriegen Kinos wie wir nur von kleineren Verleihfirmen, die ihrerseits wieder nicht so sehr von den paar großen Kinoketten abhängig sind, also von der Concorde oder von der NEF.

Gibt's die alte verruchte Praxis noch, daß die Verleihfirmen ihre Filme in Paketen anbieten, wo man die Hits nur kriegt, wenn man drei Nieten mit dazu nimmt?

Das gibt's noch. Der Anteil am Geschäft sinkt allerdings. Es wird ja zunehmend riskanter für die Kinos, periphere Filme zu spielen. Das Publikum drängt einfach in die großen Produktionen, die andern bleiben immer öfter links liegen. So ein Flop wie derzeit „Proof“ hätte uns früher nie passieren können; wenigstens hundert Leute kamen immer, auch der seltsamste Film fand irgendwie sein Publikum. Der Trend zum großen Film hat natürlich den Nachteil, daß bestimmte Filme bald gar nicht mehr ins Kino kommen werden, weil es viel zu gefährlich geworden ist, die Luschen mit einzukaufen.

Was waren eure größten Erfolge?

“Blue Velvet“, früher der Stammheim-Film, der war, heute kaum mehr vorstellbar, über Wochen ausverkauft, „Cyrano von Bergerac“ sogar ein halbes Jahr. Das war unser größter Renner, der hätte ruhig noch länger so laufen können, bloß hat der uns am Ende das Programm schrecklich durcheinandergebracht, wir mußten ja in der Zeit alle möglichen Filme in die Warteschleife schicken.

Was kostet euch so ein durchschnittlicher Film?

Rund 45 Prozent vom Brutto-Erlös der verkauften Karten. Am teuersten sind die Erstaufführungen mit bis zu 50 Prozent; nach der dritten Woche hat sich das schon abgesenkt auf 43 Prozent. Und wenn man den Film bloß nachspielen will, fängt man gleich bei 38 Prozent an. Das heißt, man hat die größten Einnahmen, wenn ein einzelner Film lange Zeit gut läuft.

Und die Werbung? Wie kommt die zusammen?

Bei uns über eine Agentur in Hannover. Die verteilen ihre Werbefilme an die angeschlossenen Kinos, und zwar je nach deren Besucherzahlen. Wenn Marlboro 500 Trailer macht, dann laufen die schon mal in allen Kinos, aber eine Firma, die nur 200 produziert hat, die will die nur in gut besuchten Häusern laufen lassen. Der Preis pro Filmmeter bleibt aber von Kino zu Kino der gleiche. Das heißt für uns: Je mehr Leute kommen, desto länger dauert die Werbung, desto mehr nehmen wir ein. Unsere Agentur also schickt uns jede Woche die Werbefilme, und wir müssen die spielen. Das bringt derzeit 6000 Mark im Monat, alles zusammengerechnet, also für täglich achtmal eine halbe Stunde. Übrigens gibt's da auch reisende Kontrolleure.

Seid ihr schon mal erwischt worden?

Klar.

Anderes Thema: Was ist aus den Plänen geworden, ein Multiplex- Kino in Bremen zu bauen?

Da gibt's nur noch Gerüchte. Ich weiß nicht, ob UCI noch was vorhat im Weserpark; Flebbe jedenfalls scheint seine Pläne, so ein

Das war mal das erste Kino Bremens, und zu den vielen Erstaufführungen rollten die Stars kolonnenweise an

Ding in die Innenstadt zu setzen, zum Beispiel in den Rembertikreisel, derzeit nicht weiterzuverfolgen. Das freut uns natürlich.

Jetzt wird ja dennoch die Schauburg einem gewissen Tuning unterzogen.

Ja, wir bauen groß um zum Jubiläum. Neues Gestühl kommt rein, neue Farbe an die Wand, alles dann in Grün- und Blautönen...

Geradezu ein Palais Schauburg...

Den Vorhang nicht zu vergessen, die Leinwand, alles neu, auch das Sound-System, das beste dann in Bremen. Das wird, falls wir das Geld zusammen kriegen, deutlich über 300.000 kosten.

Und die Feierlichkeit?

Läuft zwei Tage lang, einen Tag Konzerte, einen Tag Kino, mit David-Lynch-Premiere, mit Ehrengästen, mit Feuerwerk und allem Drum und Dran.

Die Heimatzeitung schließt sich den Gratulanten an. Interview: Manfred Dworschak