Heiße Nummern suchen Anschluß

Platonischer Partnersex an der Strippe, Kontakte per Konferenzschaltung  ■ Von Ejo Eckerle

Erika Berger läßt einen nicht im Stich: Heute habe sie einen ganz besonderen Tip für mich, flötet sie mir ins Telefon. Angenommen, mein Mann sei ein Ausgehmuffel, säße den lieben langen Abend immer nur vor dem Fernseher, um vielleicht das aufregende RTL-Programm zu gukken, dann wisse sie einen Trick, wie man ihn wieder „ganz schön auf Trab“ bringen könne: „Melden Sie sich doch gemeinsam für einen Hobbykurs an!“

Tante Erika weiß immer Rat, zu jeder Tages- und Nachtzeit kann sie angerufen werden, denn Tante Erika verbreitet ihre Binsenweisheiten neuerdings über das RTL-Startelefon mit der Nummer 0190/ 262-190. Seit Oktober letzten Jahres läuft in Nordrhein-Westfalen ein Betriebsversuch der Telekom. Hinter der Vorwahl 0190 verbergen sich private Informationsdienste mit einem Angebot, so bunt und schillernd wie das Leben selbst. Da plaudert nicht nur die erotische Erika aus dem Nähkästchen, sondern der Telefonkunde hat die Möglichkeit, Sport-News abzurufen, sich den aktuellen Stand seines Biorhythmus mitteilen zu lassen oder den Plaudereien wildfremder Menschen zu lauschen.

Rund acht Millionen Fernsprechteilnehmer zwischen Rhein und Weser, deren Anschluß mit 02... beginnt, dürfen sich glücklich schätzen. Nicht simple Anrufbeantworter nehmen ihr Gespräch entgegen, sondern „intelligente Sprachcomputer, die eine menuegesteuerte Fortbewegung im System erlauben“, wie es Hans-Georg Nuhn von der Deutschen Postreklame beschreibt.

Mit einfachen Befehlen wie „Ja“ oder Tastendruck auf dem Telefon wählt der Kunde, was er will. Der Computer ist in der Lage, Schlüsselwörter zu erkennen, und fragt bei Bedarf sogar nach: „Wie bitte?“ Die Bundespost versucht auf diese Weise, einen weiteren Massendienst auf dem Kommunikationsmarkt zu etablieren, und hofft dabei auf mehr Fortune, als ihr bei der Einführung des Bildschirmtextes beschieden war.

Acht in- und ausländische Firmen aus der Verlags-, TV- und Marketingbranche teilen sich vorerst die 600 Leitungen, die für diesen Versuch von der Telekom bereitgestellt wurden. Das Staatsunternehmen kassiert kräftig ab: je 0190-Leitung berechnet es einen Einrichtungspreis von 65DM sowie eine monatliche Grundgebühr von 107DM. Der Anbieter selbst muß den hochkomplizierten Sprachcomputer stellen, der pro Stück rund 300.000 Mark kostet. Den Rest der Zeche zahlt der Telefonkunde: 1,15 DM schlagen alle zwölf Sekunden zu Buche.

Holländische Verhältnisse am Telefon

Aber für das Herzglück ist dem Menschen ja bekanntlich nichts zu teuer. Denn vor allem die Einsamen der Nacht nutzen gern und häufig das Angebot. Zum Beispiel den „Partnertreff“ der Firma Legion Telecommunication, ein britischer Anbieter, der diesen Dienst in England bereits seit vielen Jahren recht erfolgreich betreibt. Eher zufällig entdeckten die Manager des Unternehmens, daß auch Schwule im Partnertreff ihr Glück suchen — und prompt wurde für die neue Zielgruppe eine Leitung reserviert.

Wer den Partnertreff anwählt, hört nach einem Ansageband, das das System erklärt, mehr oder weniger witzig formulierte, gesprochene Kontaktanzeigen und zwar vom Inserenten selbst. Möchte man einem Inserenten antworten, kann man ihm über eine Art Mailbox eine Nachricht hinterlassen. Aber Vorsicht: „Informationen mit sexuellen Inhalten sind nicht zugelassen“, erhebt die Postreklame mahnend den Finger. Legion prüft daher jedes Angebot, bevor es on air geschaltet wird — soviel die Theorie.

In der Praxis ergibt jedoch ein Testanruf bei „Harrys Partnertreff“ (hier ist der holländische Auditext- Service Tele MS der Anbieter) ein anderes Bild. Da fällt einem doch glatt der Hörer aus der Hand, wenn der 14jährige Mark ins Telefon kräht, er suche „Männer mit großen Schwänzen“.

Die sich betont seriös gebenden Betriebsversuchsteilnehmer in Nordrhein-Westfalen treibt eine Angst um — sie fürchten holländische Verhältnisse im Netz. „Wir müssen aufpassen, daß die gesamte Dienstleistung nicht abrutscht“, mahnt selbstkritisch Horst W. Vollstedt, Geschäftsführer der R&D Consulting, einem Kieler Privaten- Informations-Anbieter.

Was in Holland alles möglich ist, würde hierzulande sämtliche Jugendschützer auf die Barrikaden treiben. Dort beliefern clevere Geschäftsleute unter „06“-Nummern so klingende Dienste wie „Eroticon“, „Rote-Ohren-Linie“, „Lesbifoon“, „Erotel“, „Dreamline“ oder „Lolita“. Wählt man einen dieser 06-Anschlüsse, erfährt man alles über Sex — was man schon immer wissen wollte, aber nie zu fragen wagte. Da kann die Bravo-Leserberatung glatt abstinken. In Holland ist das Anwählen der 06-Nummern zum Volkssport geworden, und die phon- pornographischen Erlebnisse des Vortages bereichern den Kantinentratsch. Einige Betriebe sind deshalb dazu übergegangen, 06-Anschlüsse in ihren Computer-Telefonzentralen von der Post blockieren zu lassen.

Sex und Klatsch — hier liegt offenbar der Markt der Zukunft. Die niederländische Post kann sich vor Anfragen nach 06-Leitungen kaum retten. Ein Postsprecher: „Alle unsere Prognosen haben sich als total falsch erwiesen. Die Nachfrage ist gewaltig — wenn wir wollten, könnten wir 30.000 Leitungen vergeben, unser Netz hat allerdings nur eine Kapazität von 2.000.“ Der Markt ist dabei, sich am eigenen Telefonkabel zu erdrosseln. Davor möchte die bundesdeutsche Post Unternehmer und Kunden bewahren und verbietet eine technische Errungenschaft, die zum Beispiel in der Schweiz bereits gestattet ist:

Konferenzschaltungen — sich einander völlig fremde Menschen werden vom Computer zusammengeschaltet und zwar live. Hierzulande muß man bisher noch den weiten Umweg über die niederländischen Antillen wählen. Dann aber wird angebaggert, via Satellit. Doch der Spaß kostet — und zwar einiges mehr als das monatliche Pflichtgespräch mit der Erbtante im Bayerischen Wald: 3,12 DM die Minute. Die anfallenden Gebühren teilen sich der kommerzielle Anbieter und die beteiligten Telefongesellschaften, also auch die Telekom, brüderlich.

Thomas Hofmann, Produktmanager von Legion Telecommunication, glaubt jedoch, daß die Post ihre vornehme Zurückhaltung in Sachen Chatlines nicht mehr allzu lange wahren wird. So viel ist klar: Das Kontaktkarussell wird bereits mit dem 0190-Dienst mächtig in Schwung geraten — erst recht dann, wenn das Netz auf alle alten Bundesländer ausgeweitet wird. Das verspricht die Postreklame spätestens für das erste Viertel des nächsten Jahres. Dann können 30 Millionen Fernsprechteilnehmer die 0190-Linien nutzen — ein gigantischer Markt.