Agnellis Sympathien sind gespalten

Auch Fiat-Manager beim Zahlen von Schmiergeld erwischt/ Politiker und Ermittler reden von Amnestie  ■ Aus Rom Werner Raith

Noch vor vier Wochen, als die Sache erstmals hautnah an seinen Konzern herankam, tönte Fiat-Patriarch Gianni Agnelli: „Nur weiter so. Die Staatsanwälte sollen bis in die letzten Winkel hineinleuchten.“ Mittlerweile ist ihm offenbar die Freude an der Leuchterei vergangen. Es geht nicht mehr nur um ein mittleres Kirchenlicht wie Enzo Papi, den Manager der Baufirma Cogefar mit Fiat- Beteiligung, sondern im Zuge der Ermittlungen mani pulite (Saubere Hände) wurden Ende vergangener Woche zwei direkt unter dem Fiat- Dach werkelnde Entscheidungsträger in das Mailänder Gefängnis San Vittore eingeliefert: Giancarlo Cozza ist Geschäftsführer der Fiat- Savigliano, Luigi Caprotti ist Chef einer wichtigen Auslieferungsstelle der Fiat-Lastwagenfirma Iveco. Beide gestanden sofort die Zahlung von umgerechnet mehr als zweieinhalb Millionen Mark Schmiergelder an Politiker und Beamte. Der Deal lief über Auslandskonten ab — nicht so profan wie in den anderen der mittlerweile über 80 gerichtsnotorischen Fälle, wo die Gelder per Scheck oder gar in einer Tüte übergeben wurden.

Für Agnelli ist die Sache insofern unangenehm, weil er seinem verhafteten Manager Papi einen seiner besten Anwälte beigestellt hat, der auf Unschuld plädiert: Papi habe zwar bezahlt, jedoch für einen Auftrag, der an eine nur halbstaatliche — mithin auch halbprivate — Firma ging. Somit wurden keineswegs ausschlaggebende Beamte bestochen. Also liege auch keine Korruption vor, denn die sei nur für Politiker oder Staatsangestellte definiert. Darauf können sich die beiden, die nun erwischt wurden, freilich nicht berufen: Die Aufträge gingen größtenteils von der staatlichen Eisenbahngesellschaft aus.

Die neuen Bewohner des „nobelsten VIP-Etablissements der Welt“ — so spottet il manifesto über das mit Managern und Politikern gefüllte Gefängnis von Mailand — befinden sich keineswegs in schlechter Gesellschaft, jedenfalls dem sozialen Status nach. Es erwischte nämlich bereits zahlreiche Manager bekannter Konzerne und Firmen. Sogar der König der Mailänder Bauunternehmer, Ligresti, saß ein. Mehr als ein Dutzend amtierender Senatoren und Abgeordneter müssen sich ebenfalls mit einer Zelle anfreunden, sobald ihre Immunität aufgehoben ist.

Der Geständnis-Markt ist dabei ebenso gespalten wie Agnellis Sympathien für die durchgreifenden Staatsanwälte. Die Geldgeber — vulgo Korrupteure — packen in der Regel sofort aus und werden deshalb von der Haft verschont. Natürlich fühlten sie sich von den Geldempfängern erpreßt und dazu gezwungen, „in ein schon bestehendes Abgabensystem“ einzusteigen (Baulöwe Ligresti).

Die einnehmenden Politiker und Beamten dagegen winden sich. Dem einen wurde das Geld — sofern er sich überhaupt daran erinnert — aufgedrängt, der andere wußte gar nicht, wofür und von wem es war, und der dritte sah es als völlig normal an, so daß ihm gar keine Bedenken kamen. Die betreffenden Politiker und Beamten gehören einem relativ engen Zirkel unter Führung der in Mailand seit jeher regierenden Sozialisten an, der Brosamen auch an Christdemokraten, Republikaner und den PSI-nahen rechten Flügel der ehemaligen Kommunistischen Partei weiterleitete.

Wo so viele Honoratioren ins schlechte Licht geraten, ist das Wort „Amnestie“ nicht weit entfernt. Noch geht es in Form des condono um, was eine Art „Entschuldung“ bedeutet: Man gibt den unrechten Profit zurück, bekennt sich schuldig, gelobt Besserung und kommt dafür glimpflich davon — meist mit einer Geldstrafe. Doch schon meint der eine oder andere Parteichef, daß eine Globalamnestie noch besser wäre: Schwamm drüber. Da ist derzeit noch das Volk vor, das allzugerne seine Mächtigen ein bißchen im Höllenfeuer schmoren sieht. Allerdings spricht auch einer der ermittelnden Staatsanwälte schon von einem condono. Vielleicht wächst ihm die Arbeit einfach über den Kopf, weil sich so viele neue Fälle aus jeder einzelnen Verhaftung ergeben.

Komischerweise wollen nun die Strafverteidiger die Amnestie nicht: „Es hätte verheerende Auswirkungen auf die sowieso schon niedrige Moral unserer Führungsschicht“, wandte einer der Stars der Gerichtssäle, Della Valle, ein, „wenn wir das Signal aussenden: Korrumpiert nur fleißig, und wenn ihr auffallt, gesteht alle gleichzeitig. Dann wird es der Justiz zuviel, und alles endet in einer Einstellung sämtlicher Verfahren.“

Fiat-Chef Agnelli hat sich hierzu noch nicht geäußert. Eingeweihte haben aber Wind von einer eilends einberufenen Runde hoher Firmenmanager bekommen. Angeblich wünscht Agnelli, daß Geständnisse zuerst bei ihm und erst später bei der Staatsanwaltschaft abgeliefert werden. Danach erst könne er — inzwischen selbst Senator auf Lebenszeit und sogar zu Gesetzesinitiativen berechtigt — entscheiden, ob er seine Truppen für oder gegen eine Amnestie ins Feld schickt.