: Neue Flüchtlinge noch diese Woche?
■ Bundesländer bereiten weitere Aufnahmeaktion für Bosnien-Flüchtlinge vor/ Private Unterbringung läuft in Berlin an/ Schnoor und Kinkel fordern Sonderstatus für Kriegsflüchtlinge
Berlin (taz) — Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) und die Innenminister der Länder sind bereit, möglicherweise noch in dieser Woche weitere Flüchtlinge aus Bosnien- Herzegowina einreisen zu lassen. Seiters sagte am Dienstag, wenn es auf der heute stattfindenden Genfer Konferenz über humanitäre Hilfen für das ehemalige Jugoslawien zu keinen Kontingentvereinbarungen über die Aufnahme und Verteilung von Kriegsflüchtlingen zwischen den EG-Staaten komme, werde er mit den Ländern eine weitere Aufnahmeaktion vorbereiten. Die Flüchtlinge müßten aber, ebenso wie die bereits aufgenommenen fünftausend Menschen, auf das deutsche Kontingent angerechnet werden, falls in Genf doch entsprechende Vereinbarungen getroffen würden.
Bundesaußenminister Klaus Kinkel forderte, die Flüchtlinge gleichgewichtig auf die europäischen Staaten zu verteilen, und unterstützte den Vorschlag, für die Vertriebenen Sicherheitszonen in den Krisenregionen einzurichten.
Nach Ansicht des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Friedel Läpple, sollte die Bundesrepublik noch in dieser Woche mindestens 5.000 weitere Flüchtlinge aufnehmen. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sei so groß, meinte der saarländische Innenminister, daß mehr Flüchtlinge untergebracht werden könnten. Nach einer Umfrage des Kölner Express sind alle Länder bereit, weitere Kriegsflüchtlinge zu beherbergen.
In den meisten Bundesländern haben Kommunen, Verbände und Privatpersonen unterdessen mehr Plätze für Flüchtlinge angeboten, als momentan gebraucht würden. Ein Sprecher des Düsseldorfer Innenministeriums sagte gestern, die Absprache der Innenminister mit Seiters und der Beschluß, weitere Vertriebene aufzunehmen, könnten schon heute getroffen werden.
Ministerpräsident Manfred Stolpe forderte gestern die Bevölkerung Brandenburgs auf, die Flüchtlinge auch finanziell zu unterstützen. In Berlin soll ab morgen in Reaktion auf die „Aktion Fluchtweg“ beim Deutschen Roten Kreuz ein „Bürgertelefon“ eingerichtet werden. Dort können sich Menschen melden, die Flüchtlinge privat beherbergen wollen. Außerdem sollen 100 kranke und brandverletzte Kinder aus Sarajevo in Berlin versorgt werden. Sachsen-Anhalt will 60 Waisenkinder aus der eingeschlossenen Stadt aufnehmen.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor kündigte eine Initiative der Länder im Bundesrat an mit dem Ziel, die Kriegsflüchtlinge generell aus dem Asylverfahren auszunehmen, ihnen eine befristete Aufenthaltsgenehmigung und das Recht auf Arbeit zu gewähren. Einen rechtlichen Status, der die Bürgerkriegsflüchtlinge nicht ins Asylverfahren zwinge, befürwortete gestern auch Kinkel. Eine solche Regelung, verlangte der Städte- und Gemeindebund, müsse auch die Übernahme der Kosten neu festlegen, die sich Bund und Länder derzeit teilen. Die Wohlfahrtsverbände forderten erneut eine Aufhebung des Visumzwangs für Vertriebene aus Bosnien-Herzegowina, da die Aufnahme derer, die nicht unter das Kontingent der fünftausend fallen, durch schwerfällige Verfahrensregelungen behindert werde.
Widersprüchlich sind die Meldungen, inwieweit die Behörden die privaten Hilfsangebote nutzen. Während Stolpe die Aufnahme weiterer Flüchtlinge auch von privaten Plätzen abhängig machte und diese wie sein sächsischer Amtskollege Kurt Biedenkopf offenbar in Anspruch nehmen will, beschwerten sich die bayerischen Grünen, ihre Landesregierung lasse die Bevölkerung, die über fünftausend Plätze angeboten habe, im unklaren, ob sie diese nutzen werde. In Berlin sollen ab morgen Flüchtlinge zur Unterbringung an Privathaushalte vermittelt werden. Bettina Markmeyer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen