Grünes Blut für den Zensor

■ Halb Bremen hockt vor dem Computer und spielt und spielt / Die neuesten Trends, die ältesten Süchte: freigegeben ab 8 Jahren

„Ich hab Spezialkunden, die ziehen sich ihr letztes Hemd dafür aus“, sagt Heiko Kaspers, Verkäufer von Computerspielen in Bremen, „die kaufen blindlings alles, was neu ist“. Da haben sie gut zu tun. Der Spielemarkt boomt, die Software-Hersteller jagen einander mit immer raffinierteren Produkten, und die Kunden werden immer jünger: 50 Prozent der bremischen Kinder im Alter von 9 bis 11 Jahren haben schon einen Gameboy von Nintendo (1991 in Deutschland verkauft: 3,5 Millionen); gut 90 Prozent der bremischen Schulkinder von 9 bis 18 Jahren haben irgendwie Zugang zu einem PC, und fast alle nutzen ihre Gelegenheiten ausschließlich zum Spielen. Das hat der Bremer Sozialwissenschaftler Friedemann Schindler in einer Umfrage für das Jugendressort ermittelt.

Dabei dürfte der Gameboy, bislang das beruhigend harmlose Einstiegsgerät der kleinen Jungens, bald schon in Bedrängnis kommen: „60 Prozent der Gameboy-Spiele sind ja ziemlicher Schrott“, sagt Kaspers, „so'n Quatsch wie Hook wird nur über den Film gepusht. Die Kids kaufen trotzdem alles wahllos weg, weil dafür einfach das Taschengeld reicht.“ Eine neue Generation von billigen stationären Computern eigens zum Spielen (Preis: um 350 Mark) ist aber schon auf dem Markt: Auf den schnelleren Konsolen mit 16-Bit- Prozessoren (früher: 8) laufen jetzt auch aufwendige Spiele wie zum Beispiel das Wüstenkampfgetümmel Desert Storm, wo die herumlaufenden Menschlein, ehe sie abgeschossen werden, schon täuschend echt aussehen. Desert Storm in der 16-Bit-Megadrive- Version ist übrigens das erste Konsolenspiel, welches sich jetzt die nimmermüde „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ zwecks Indizierung vorgenommen hat. Zumindest in Bremen belebt das den Verkauf ungemein. „Das wollen jetzt alle haben“, sagt Kaspers, und bei ecs am Hillmannplatz hat man soeben 500 Import-Module nachbestellen müssen.

Der Markt für Konsolenspiele ist deshalb so lukrativ, weil die dafür nötigen Module, im Gegensatz zu den Disketten für die PC's, selbst von ausgekochten Usern nur sehr schwer kopiert werden können. (Von den durchschnittlich 70 Disketten, die Schindler in bremischen Spieleschachteln gezählt hat, sind ja nur fünf ordnungsgemäß gekauft, der Rest ist zusammenkopiert.) Die Entwicklung von kopiersicheren Modulen für die von den Jüngsten bevorzugten Konsolen ist deshalb eine sichere Investition. Zudem sind wahrhaft superschnelle 32- oder gar 64-Bit-Prozessoren für noch bessere Grafik schon angekündigt. Umso argwöhnischer sind, da es um Kinder geht, neuerdings die Zensoren; „die glauben allerdings“, sagt Schindler, „die Gefahr liege im zunehmenden Realismus der Darstellung“. Da können die japanischen Hersteller zum Beispiel des Blut-und- Schleim-Spiels Splatterhouse nur lachen: Sie färben, auch nicht faul, all das Blut einfach grün, und ecs verkauft diese Import- Version mit viel Erfolg.

Einen weiteren Leistungssprung ermöglichen die Konsolen der Zukunft. In Bremen sind sie schon gut im Geschäft, obwohl es dafür erst Mitte nächsten Jahres in

Die Kinder des Datenparadieses: In einem bremischen Laden für Computerspiele Foto: Katja Heddinga

nennenswertem Umfang Software geben wird: Sie haben CD- ROMs, also Laufwerke, welche die immense Speicherkapazität der CD nutzen. 600 übliche Spiele haben auf einer einzigen CD Platz — oder auch so aufwendige Flugsimulatoren wie „Wing Commander“, ein Spiel, das mit digitaler Sprachausgabe und allem Drum und Dran knapp 15 Disketten belegen würde.

Die jüngsten hiesigen User amüsieren sich schon mal bei all den Greueln, aber am Ende bevorzugen sie hartnäckig „die niedlichen

hierhin bitte

das Foto von dem

Spieleladen

mit kleinen

Kindern

Jump-and-run-Spiele“, sagt Heiko Kaspers, „die harten Sachen sind einfach igitt“. An Ballerspielen begeistert sich erst die Generation der 16jährigen; und die älteren finden dann ihren Frieden beim Hüten von virtuellen Ameisenhaufen oder an Flugsimulatoren, „wo sie mit Hilfe dicker Handbücher eine Maschine nur von München nach Bremen bringen müssen, ohne abzustürzen“, sagt Kaspers. Allerdings steigt auch hier der Anteil des Geballers, „die neuen Sachen sind oft wirklich erschreckend“. Der Rote Baron etwa erlaubt es, den

ganzen WK Eins nachzuspielen; in den USA können sich schon bis zu 20 Luftkampfteilnehmer zusammenschalten. Wie in echt: „Nintendo arbeitet schon an einer sehr realen Panzerfaust“, sagt Kaspers, „mit der kann man dann im Zimmer rumrennen und per Infrarot auf Bildschirm-Vietnamesen feuern. Fehlt nur noch das Spezialhemd, wo man per Elektroschock selber getroffen werden kann.“

Die Spielerszene zerfällt in Bremen wie anderswo in kleinste Grüppchen und zahllose Einzelne: Stefan der Flieger hat es mit sechzehn und ganz allein zu Bremens coolstem Datenpiloten gebracht, andere reisen durch die halbe Republik zu den Wettspielen, die die Hersteller zur Hebung ihres Absatzes veranstalten; in Obervieland gedeiht ein pfiffiger Copy-Club, und in Gröpelingen suchen ein paar User Anschluß an die internationale Mailbox- Szene. Solche informellen Zirkel bilden sich spontan und zerfallen wieder; in den Vereinen, Clubs und Jugendzentren findet das Spielen am Computer nicht statt: „Die sagen, es wird zuhause schon genug gespielt“, sagt Schindler, der diese näselnde Abwehr „bedenklich“ findet, zumal auch die bremischen Schulen „sich leider entschieden haben, damit nichts zu tun haben zu wollen“. Die haben scih Apple-Computer angeschafft, „weil die mit dem, was die Kids zuhause haben, nicht kompatibel sind.“ Manfred Dworschak