»Dann gründet doch mal 'n Komitee«

■ Offizieller Gründungsakt des Komitees für Gerechtigkeit in Prenzlauer Berg/ Arbeitsgruppen sollen für politischen Druck sorgen/ Zur zweiten Sitzung kamen 150 Interessenten/ Planetarium stand als Tagungsort nicht zur Verfügung

Prenzlauer Berg. »Wir werden die Montagsdemos wieder organisieren, daß in Bonn die Wände wackeln«, hatte eine Initiativgruppe zur Grüdung eines Komitees für Gerechtigkeit in der vergangenen Woche gefordert. Am Dienstag traf sich die Gruppe zum offiziellen Gründungsakt. Diesmal diskutierte man nicht bei Salzstangen, Biskuits und Tee im heimeligen Wohnzimmer des Historikers Manfred Behrend, sondern drängelte sich im Seniorenheim in der Knaackstraße. Die Senatsverwaltung hatte der Initiativgruppe nicht erlaubt, wie ursprünglich geplant, sich im Planetarium in der Prenzlauer Allee zu konstituieren. Etwa 150 Prenzelberger waren dem Gründungsaufruf gefolgt — einige konnten die konstituierende Sitzung sogar nur von der Straße aus verfolgen.

Neben den Hauptinitiatoren, dem Ingenieur Horst Kalo und dem Politologen Manfred Behrend, war als Erstunterzeichner Hans Mottek gekommen. Über den politischen Erfolg des Komitees entscheide, sagte der Wirtschaftswissenschaftler, inwieweit es das Komitee schaffe, auf die politischen Organe Druck auszuüben.

Der 52jährige Ingenieur Horst Kalo leitete die Gründungsdiskussion, versuchte gleich zu Beginn die Flucht nach vorn. Nicht über einzelne inhaltliche Probleme, Sinn und Unsinn der Komiteegründung wollte er auf der Gründungsversammlung zuerst diskutieren, sondern über die Frage, wie, wann und in welcher Arbeitsgruppe einzelne bereit seien, konkret mitzuarbeiten. »Wir schimpfen und meckern zwar viel, aber das ist nicht immer klärend, und heute abend sollten wir uns nicht um des Kaisers Bart streiten«, sagte Kalo, bemüht um »Versammlungsdisziplin« und eine erste Organisationsstruktur für das neue Komitee.

Doch ohne über die Aufgabe des Komitees grundsätzlich diskutiert zu haben, wollte kaum jemand in einer Arbeitsgruppe mitarbeiten. Wie man Arbeitsgruppen eines Komitees bilden könne, ohne es an sich gegründet zu haben, fragte ein junger Mann. Eine Frau wollte wissen, wo das Komitee politisch »positioniert« sei. Ihrer Meinung nach würde der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. »Ich habe keine Lust mehr, über Theorie zu reden. Es müssen Plakate geklebt werden«, meinte sie genervt. Darüber konnte Bernhard Heldt, er war als »Wessi« gekommen, um auf die Komiteegründung am Freitag in Schöneberg vorbereitet zu sein, nur den Kopf schütteln. Den Hang zum »Aktionismus und zur Unduldsamkeit« könne er nicht verstehen.

Wilhelm Bartels dagegen, früher SED-Mitglied, heute politisch »orientierungslos«, machte sich für die sofortige Gründung stark. Wenn sich das Komitee jetzt nicht gründe, befürchtete er, würde jenen zugearbeitet, die alle Ostdeutschen über den Tisch gezogen hätten. Er fühle sich als Ostdeutscher wie eine Palästinenser auf der West-Bank, wie ein Fremder im eigenen Land. Am Sinn neuer Arbeitsgruppen zweifelte auch Angela Marquardt (20) vom Koordinierungsbüro. Im Bezirk Prenzlauer Berg gäbe es genug Initiativen. Das Problem sei jetzt, alle Leute an einen Tisch zu bekommen. Nur wenn alle Gruppen vernetzt arbeiten würden, könnte das Komitee Einfluß ausüben.

Da riß einem Zwischenrufer der Geduldsfaden: »Nun gründet doch endlich mal so 'n Komitee«, raunzte er. Diskussionsleiter Kalo gab sich geschlagen, spontan ließ er über die Gründung des Komitees abstimmen, ohne zuvor Mitarbeiter für einzelne Arbeitsgruppen gefunden zu haben. Dann war es gegründet, das Komitee für Gerechtigkeit. Ohne Gegenstimmen. »Wir hätten mit der Gründung des Komitees beginnen müssen«, gab er bereitwillig gegenüber zahlreichen Kritikern zu.

Auch für den Aufbau der Arbeitsgruppen gab es ein einstimmiges Votum. Nur Kontaktpersonen mußten dann noch gefunden werden. Horst Kalo hat in einem Papier acht Arbeitsgruppen, quer durch alle gesellschaftlichen Problembereiche, vorgeschlagen. In Bonn wird man sich — über die Sommerpause hinaus — weiter selbstgefällig im Sessel zurücklehnen können. Vor dem Komitee für Gerechtigkeit wird dort (noch) kein Politiker zusammenzucken. Jetzt hängt alles von den Arbeitsgruppen ab. Rüdiger Soldt