Die ganze Tragödie deutschen Frohsinns

■ Geschlechtslos, ortlos, hilflos, sorglos: „Otto — Der Liebesfilm“

Im Erhabenen das Banale zu zeigen, gehört zu den wichtigsten Mitteln der Komik. Werke der Weltliteratur in vier Bildern nachzuerzählen, zum Beispiel, ist so ein Sport unter Karikaturisten. Auch der neueste Otto-Film setzt auf den Enttarnungseffekt, wenn Otto, mit Goldlöckchenperücke bestückt, den Amor spielt, der in seinem Himmelsbüro über den lustigen Computer-Weltraumspielen vergessen hat, seine archaischen Pfeile auf die Herzen der Menschen abzuschießen. Die Techno-Parodie auf das „Vorspiel auf dem Theater“.

Wenn dann Otto Waalkes, der Ostfriese mit der langen schmalen Nase, als vom Amor-Pfeil Getroffener in einer Berliner U-Bahn-Station wieder auftaucht, stellen sich die kniffligen Drehbuchfragen.

Otto, auch als Protagonist so genannt, gerät durch ein Mißgeschick an Tina, einen lauen Konterpart (Jessika Cardinahl). Sie, gewiß Mitte zwanzig und offenbar Arzthelferin in einer Praxis für Schönheitschirurgie, wohnt unwahrscheinlicherweise bei ihren Eltern. Die Handlung, flimmernd im Absurden, wird zum Schwiegervaterkonflikt; verliert aber erheblich an Dynamik, als Otto über den Balkon zu ihr ins Bett steigt wie Romeo zu Julia. Neben dem Vater ist ein zweiter Konkurrent installiert, ihr Arbeitgeber Dr. Beierle, das Klischee des protzigen und tückischen, letztlich aber in seiner primitiven Schleimigkeit unterlegenen Ausländers. Schließlich triumphiert Otto, der glücklose Musiker, als TV- Held, wenn er eine unnötigerweise überzeichnete Volksmusikveranstaltung als Lauten-Hendrix in die angebliche Jetztzeit überführt.

In dieses Muster klischierter Abläufe werden die Gags plaziert, die kleinen Mißverständnisse unter den Liebenden, der Auftritt des jungen Mannes beim Schwiegervater (der als Cyrano de Bergerac-Parodie eine von innen beleuchtete Riesenknollennase trägt) und die kleinen vorhersagbaren Abstürze der Günstlinge der Medien. Dabei werden fast sämtliche Chancen, auf die Spannungsbögen einer Komödie einzusteigen, zeitig verschenkt: die ganze Komik um das „noch nicht“ bei dem Liebespaar; sämtliche erprobten Standards des „falschen Therapeuten“; der soziale Sprengstoff der Wohnungssuche des Paares.

Und wenn es um die Unterhaltungsindustrie geht, reicht die Charakterisierung nicht hinaus über das Vorurteil des nicht-professionellen Publikums, das im Film als solches nicht vorkommt. Es wimmelt vor Anspielungen auf populäre Filme und populäre Musik, aber der Film entwickelt — jenseits des Amors am Joystick — nicht ein einziges Motiv, das stark genug wäre, selbst zitiert zu werden.

Wenn es sich nicht um einen schlichten Fall von Ideenlosigkeit (der Titanic-Autoren) handelt, dann ist der Grund für die Banalität dieses Films wahrscheinlich in der Figur Otto Waalkes zu suchen. Seine Wirkung lag schon immer in der Durchschaubarkeit seiner Masken, die er nicht umsonst mit der bekannten Hektik im 5-Sekunden-Rhythmus wechselt. Letztlich bleibt sein Witz der des Witzeerzählers, seine Form ist der one-man-stand. Die Palette seiner Charaktere ist unspezifisch: er karikiert nicht die Subkultur wie die „drei Tornados“; er spielt nicht das üble Deutsche aus wie Polt; seine norddeutsche Färbung bleibt blaß im Vergleich zu „Werner“; die Abgründe der Unterhaltungskultur hat erst Helge Schneider ausgelotet. Blödeln hieß das in den Siebzigern und war mal sehr beliebt.

Als Type ist Waalkes nahezu geschlechtslos. Deshalb bleiben auch die Charaktere der Figuren des „Liebesfilms“ ohne jegliche Kraft und Überzeugung; hilflos adaptieren die Darsteller Ottos wahrscheinlich gewollt schlechte Schauspielerei. Dazu paßt dann auch, daß Berlin nur als Kulisse genutzt wird, wiedererkennbare Locations für die Stadt mit den meisten Kinogängern, und im übrigen ein beliebiger Ort. Die Flucht ins Banale als Prinzip, eine am Visuellen desinteressierte Kamera, sorgloses Styling: die ganze Tragödie deutschen Frohsinns auf einen Blick, die Misere des Fernsehens als extended version im Kino. uez

Otto — Der Liebesfilm. Regie: O. Waalkes, Ko-Regie B. Eilert. Drehbuch: Eilert, Gernhardt, Knorr, Waalkes. Als Dr. Bayerle: Juraj Kukura. 100 Min., Farbe.