Nur was im Vertrag steht, zählt

Die Gehälter der G+J-Angestellten werden anders berechnet als bisher  ■ Von Ulla Küspert

Zur Finanzierung ihres harten Verdrängungswettbewerbs auf dem Medienmarkt sparen die Pressekonzerne vor allem bei den Personalkosten: Diese Spielart der Sparmaßnahmen erfreut sich so großer Beliebtheit, daß zumindest bei den Arbeitsgerichten Vollbeschäftigung herrscht. Auch der Hamburger Medien-Multi Gruner+Jahr, der sonst nicht müde wird, ein Image der Großherzigkeit zu pflegen, greift nun bei seinen Lohnkosten nicht mehr so tief in die Tasche: Obgleich die Gewinne — wie der Vorstandsvorsitzende Gerd Schulte-Hillen gerade erst auf der Bilanzpressekonferenz mitgeteilt hat — um gut ein Fünftel auf 245 Millionen Mark gestiegen sind, und die Sanierung der übernommenen DDR-Betriebe schneller vorangeht als geplant, kürzt der Großverlag in diesem Jahr seine Gehaltszahlungen um runde drei Millionen Mark. Dies ist exakt die Summe, die die diesjährige Tariferhöhung mehr gekostet hätte, wenn der Konzern sie bei 2.000 seiner jetzt 12.551 Beschäftigten wie bisher auf die tatsächlich gezahlten Gehälter aufgeschlagen hätte. Statt dessen berechnete Deutschlands reichster Verlag die mit den Gewerkschaften ausgehandelten sechs Prozent nur auf die tariflich vorgeschriebenen Mindestgehälter.

Der langjährige G+J-Angestellte Jens Jobs ging deshalb mit Unterstützung der IGMedien vor das Hamburger Arbeitsgericht. Der Ex-Betriebsrat will prüfen lassen, ob die „verkürzte Gehaltserhöhung“ rechtens ist. Er beruft sich dabei auf eine Garantie, die der frühere G+J- Vorstandsvorsitzende, Dr.Manfred Fischer, der Belegschaft 1978 und 1979 bei der Aufsplittung der Saläre in „Tarifgehalt und freiwillige Zulage“ gegeben hatte. Durch sogenannte „Gehaltsmitteilungen“ sollte jeder einzelne von seinen Worten profitieren. Dazu Fischer damals: „Der Hinweis, daß übertarifliche Zulagen auf künftige Gehaltsanhebungen angerechnet werden können, ist leider notwendig. Solange aber die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens so verläuft wie bisher, wird der Verlag seine bisherige Gehaltspolitik nicht ändern.“ Die Unternehmensentwicklung verlief seither durchgehend positiv. Und zwölf Jahre lang wurde tatsächlich nach jeder Tarifrunde so verfahren, „daß alles aufs Ganze geht“, wie sich der damalige G+J-Personalleiter Luberichs laut Tonbandprotokoll auf einer Betriebsversammlung ausdrückte.

Während andere Verlage dazu übergingen, übertarifliche Leistungen einzufrieren oder gar gegen die Tariferhöhungen zu verrechnen, so daß mancher Medienwerker die Teuerungsrate mit einer Null-Erhöhung kompensieren mußte, hatte Gruner+Jahr seiner Belegschaft gegenüber einen „Vertrauenstatbestand“ geschaffen. So argumentiert in diesem Fall zumindest Jobs Anwalt Klaus Müller-Knapp. Erstmals 1991 hatte das Unternehmen versucht, Fischers Zusage zu brechen, war dabei auf heftige Kritik gestoßen und hatte sie schließlich zur Hälfte eingelöst — als sogenannte „Einmalzahlung“.

Auch die heikle Frage der Mitbestimmungspflicht, die im Falle des Jahreszeiten-Verlages gegenwärtig vor dem Bundesarbeitsgericht anhängig ist und vom Großen Senat des BAG gerade erst grundsätzlich zugunsten der Betriebsräte beurteilt wurde, blieb bei Gruner+Jahr ungeklärt. Der Gruner+Jahr-Betriebsrat hatte das, was Personalchef Schuster „Regelungsabsprache“ nennt, nicht gegengezeichnet und der Belegschaft geraten, einzeln vors Arbeitsgericht zu gehen. Dort jedoch wurde die Jobs Klage Anfang der Woche allerdings abgewiesen: Die Äußerung des Vorstandsvorsitzenden Fischer sei „inhaltlich vage“. Daß die Arbeitnehmer den Zusagen ihres Chefs mehr Glauben schenken, als dem, was in den Tarifverträgen steht, sei ausgesprochen ungewöhnlich. Auch wenn G+J über Jahre hinweg entsprechend gezahlt habe, habe sich der Verlag schließlich ausdrücklich vorbehalten, eventuell anders zu verfahren. Anwalt Müller- Knapp überlegt nun, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Im September steht eine zweite Klage gegen Gruner+Jahr zur Verhandlung.