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Fidel Castro im Land seiner Vorväter

Der kubanische Staatschef besucht die spanische Provinz Galicien/ Heftige Emotionen seitens der konservativen Kleinbauern/ Der „maximo líder“ ist inzwischen ein alter Mann geworden  ■ Aus Santiago Antje Bauer

Unter einem Apfelbaum steht ein fußhohes Podest. Eine Blaskapelle spielt auf, während Schulmädchen in roten Röckchen auf dem Rasen tanzten. Auf dem Podest betrachtet Comandante Fidel seine Zehenspitzen, während sich sein Gastgeber vor Rührung fast verschluckt. „Vielleicht mehr als irgend jemand auf der Welt wünschen wir Kuba das Beste“, sagt Manuel Fraga, ehemaliger frankistischer Informationsminister und heutiger konservativer Landesvater von Galicien, mit seltsam krächzender Stimme. Dennoch, so Fraga, hingen die Galicier an ihrem Eigentum. Sie würden eher ihrer eigenen Kraft vertrauen, als „der utopischen Rettung durch öffentliche Einrichtungen.

Mehrere hundert Dorfbewohner haben sich inzwischen eingefunden, die Männer im blütenweißen Hemd, die Frauen im Sonntagskleid. Alle wollen dabeisein, wenn Fidel Castro zum Adoptivsohn des Örtchens Lancara erklärt wird, jenes Dorfes, in dem sein Vater geboren und aufgewachsen und von wo er nach Kuba emigriert war. Mit leiser Stimme versichert Fidel, stolz zu sein auf die Ehre der Adoption. Die Galicier, sagt er dann, würden sich seiner nicht schämen müssen. Kein Wort verliert er allerdings zu der leisen Kritik seines konservativen Freundes Fraga. „Viva Fidel!“ rufen die anwesenden Galicier mit glänzenden Augen — der kubanische Staatschef schien Sympathisanten gefunden zu haben.

Am Vortag war er nach einer recht deprimierenden Woche in Galicien eingetroffen. Auf dem ibero-amerikanischen Gipfel in Madrid Donnerstag und Freitag letzte Woche war er von den übrigen Regierungschefs geschnitten und isoliert worden. Die nicaraguanische Hausfrau Violetta Chamorro hatte rhetorisch gefragt, ob der Comandante nicht eine psychiatrische Behandlung benötige. Und der sonst so joviale König Juan Carlos hatte Castro gegenüber eine betont kühle Miene gezeigt. Sowohl in Madrid wie beim anschließenden Besuch in Barcelona und der Expo von Sevilla am Montag hatten kubanische Regimegegner dem Comandante mit Sprechchören und Beschimpfungen den Aufenthalt versalzen. Fidel sei deprimiert, hieß es daraufhin aus seinem Umkreis. Der auf fünf Tage konzipierte Besuch in Galicien war daraufhin auf zwei zusammengeschrumpft.

Doch hier in Galicien ist die Welt noch in Ordnung. Am Montag vormittag wurde Castro von Manuel Fraga begrüßt. Er hatte ihn eingeladen, um sich für einen Kuba-Besuch vor ein paar Monaten zu revanchieren, auf dem er triumphal empfangen worden war und auf dem der rechte spanische Politiker und der kubanische Revolutionär Gemeinsamkeiten entdeckten.

Von Dutzenden aggressiver Leibwächter und ebenso vielen Zivilgardisten umringt, brach der grünuniformierte Fidel buchtstäblich ins friedliche Santiago de Compostela ein. Altkommunisten, galicische Nationalisten und schmuckverkaufende Hippies riefen während eines Rundgangs durch die Altstadt: „Cuba si, Yankees no.“ Passanten und Friseure, Metzger und Frauen mit Einkaufstaschen blieben in den Portalen stehen und staunten mit ungläubigem Lächeln. Doch Fidel blieb nicht stehen, hielt keine seiner Reden, winkte der Menge nicht einmal zu. Auf dem abendlichen Empfang in einem Franziskanerkloster mit den Notablen der Stadt erklärte er mit abwesendem Blick nur, er danke Manuel Fraga, daß er dem politischen Druck widerstanden und seine Einladung aufrechterhalten habe — Fraga macht sich mit der Einladung nicht nur bei den regierenden Sozialisten in Madrid, sondern auch bei seiner eigenen, der rechten Volkspartei, unbeliebt. Kuba mache im Moment eine sehr schwierige Phase durch, gestand der maximo líder. Wieder einmal versuche man, Kuba auszuhungern. Wieder einmal gelte es, zu kämpfen und zu widerstehen. Leise und kraftlos hatte seine Stimme geklungen, ebenso wie jetzt auf dem Podest in Lancara.

Dabei ist an diesem zweiten Besuchstag der Empfang ausgesprochen herzlich. Auf dem Weg von Santiago nach Lancara stehen am Straßenrand komplette Großfamilien mitsamt Großvater am Straßenrand aufgereiht. Aus den Feldern sind Bauern mit der Sichel in der Hand herübergekommen, um zu sehen, wie mehrere Dutzend Mercedesse durch die grünen Hügel rasen. Vor der armseligen Steinhütte, in der einst Fidels Vater aufwuchs, drängen sich Hunderte von Fotografen, um eventuelle Rührungstränen festzuhalten. Frauen und Kinder hängen aus den Fenstern, neben der Eingangstür wartet eine galicische Dudelsackkapelle. „Ich finde Fidel toll“, versichert eine adrett gekleidete Mittvierzigerin. „Mit den Kommunisten habe ich zwar nichts im Sinn, aber er ist eben Galicier. Und wenn er mit Fraga zusammenkommt, bin ich erst recht für ihn, denn Fraga ist der Richtige.“ Die Jugendlichen scheinen hingegen aus reiner Neugier hergekommen zu sein. „Ich habe gehört, er sei ein Diktator“, erklärt vage eine 14jährige.

Von Hunderten beglotzt, stapft der Comandante in die Hütte, macht einen kleinen Rundgang durch den ehemaligen Gemüsegarten seiner Großmutter, doch Rührung wird nicht sichtbar. „Wie fühlen sie sich, Comandante“, fragt jemand den alten Mann zwischen Kohlköpfen und Kuhfladen. „Gut“, antwortete der graue Zausbart leise und freundlich, mehr ist ihm nicht zu entlocken.

Ein paar Kilometer von Lancara entfernt, mitten in einer grünen Wiese, wurde unterdessen ein riesiges Festessen angerichtet. Hunderte Sardinen brutzeln im Freien, in riesigen Kupferkesseln wird die galicische Spezialität, Tintenfische, gekocht, Kisten Ribeirowein warten im Schatten. Mehr als tausend Esser sitzen bald unter einem großen Zelt. Rentner aus Santiago, Bauern aus Lancara, Anhänger von Fidel schlucken, was das Zeug hält, während die Dudelsackspieler sich im Schatten eines Baums in Stimmung bringen.

„Was Fidel macht, weiß ich nicht. Aber er ist halt Galicier, und hier gibt's ein Fest, und deshalb bin ich hier“, sagt ein junger Kuhhirt. Fidel sitzt neben Fraga am Kopf des Zeltes, gibt Autogramme an die Fans. Seine Gorillas lassen die Schnapsflaschen kreisen, die Dudelsackspieler schnarren. „Viva Fidel“, ruft bald eine beschwipste Menge. Die ersten älteren Herrschaften strecken bereits die Beine von sich und scharchen eine Siesta, während dicke Damen mit Fächern wedeln. Am späten Nachmittag reckt ein etwas klappriger Fidel vorsichtig die Faust und verschwindet ohne ein Wort des Abschieds.

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