KOMMENTAR
: Zurück zum Klassenfeind

■ Honecker mußte gestern sein Moskauer Exil verlassen

Honecker habe, so heißt es in den Meldungen, beim Verlassen der chilenischen Botschaft die geballte Faust zum Gruß erhoben. Wenn er in Berlin dem Haftrichter vorgeführt werden wird, so wird er „vor den Schranken der Klassenjustiz stehen“. In seinem Prozess wird er „das Gericht zur Tribüne des Klassenkampfs machen“. Für ihn hat der „Klassenfeind“ in Deutschland nur einen vorübergehenden Sieg errungen — die Zukunft gehört weiterhin dem Sozialismus. Der letzte Lebensabschnitt des Mannes wird durch die Emotionen und Identifikationen seiner Jugend geprägt: Klasse gegen Klasse.

Es fehlt nicht an Polemiken, die Honecker als Überlebenden der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung sehen, die die historische Legitimität seines Handelns mit der Legitimität der „antifaschistischen“ DDR verbinden. In dieser Perspektive, wie sie zuletzt von Rudolf Bahro skizziert wurde, ist noch der Bau der Mauer samt seinen mörderischen Konsequenzen Bestandteil einer seiner Tendenz nach emanzipatorischen Alternative zum Kapitalismus. Honecker wegen des Schießbefehls zur Verantwortung zu ziehen, heißt für eine solche Denkweise nichts anderes als die Spuren all dessen zu eliminieren, was in und mit der DDR human intendiert war, was subjektiv richtig war am Engagement für den Sozialismus.

Honeckers Selbststilisierung und seine späte Rechtfertigung durch Menschen, die sich das Scheitern ihres Lebensentwurfs nicht eingestehen wollen, kann nicht verdecken, daß er kaum mehr war als der „höchste Subalterne des Regimes“ (Bahro in „die Alternative“). Weit davon entfernt, auf eigenen Füßen zu stehen, den Sozialismus „in den Farben der DDR“ zu entwickeln, blieb er der Gefangene jener internationalen Konstellation, die sich mit dem Machtantritt Gorbatschows aufzulösen begann. Paradoxer- aber zugleich notwendigerweise endete der einzige, zaghafte Versuch Honeckers zur Eigenständigkeit genau mit dem Sieg der Reformer in Moskau.

Hüten wir uns vor der revolutionären Mystifizierung Honeckers ebenso wie vor dem Versuch, ihn als mit unbeschränkter Machtfülle ausgestatteten Tyrannen zu portraitieren. Er war Bestandteil einer erbärmlichen und lächerlichen Gruppierung, die sich freilich unter anderen historischen Bedingungen an der Sonne der internationalen Anerkennung — auch durch Bonn — wärmen konnte. Dieser letzere Umstand wird Honecker im Prozess, so es ihn gibt, sicher von juristischem Nutzen sein. Aber unabhängig von der Frage, ob ein Strafprozeß gegen Honecker juristisch haltbar bzw. rechtspolitisch sinnvoll ist — an seiner Person und dem von ihm repräsentierten Regime gibt es nichts zu retten und nichts zu rechtfertigen Christian Semler