Radikal und spirituell

■ Die ungarische Band Die Rasenden Leichenbeschauer in Hamburg

in Hamburg

Wenn es um die Verbindung eines angestrebten Gesamtkunstwerks mit einem produktiven Mißverständnis von Pop-Kultur geht, so sind die ungarischen Vagtazo Halottkemek seit ‘76 bei der Arbeit. Dabei hatte die Gruppe bei ihren ersten Konzerten weniger Aufsehen im Publikum erregt, als das Eingreifen von Hausmeistern herausgefordert. Wegen angeblich mangelnder Ton- und damit Linientreue fiel in der Folge der Strom aus und setzte es Auftrittsverbote.

1983 spielte das Quintett eine Nebenrolle in einem Film des verstorbenen Regisseurs Gabor Body, aber erst 1988 kam es zu ersten Plattenaufnahmen. Fast anderthalb Dekaden nach ihrer Gründung

1nutzte das Quintett die Chance zur Profilpräzisierung. Der übersetzte Name Rasende Leichenbeschauer zog dem Original nicht nur die Poesie ab, sondern genügte vielen, um die Band in der vakanten Kulturhülse „Punk“ abzulegen.

Doch seit dem Vertragsabschluß mit Jello Biafras Alternative Tentacles-Lable jedoch und den seither produzierten LPs Live - Jumping Out The World Instinct und Hammering At The Gates Of Nothingness kommt das Band-Konzept immer deutlicher zum Vorschein. Dem Sänger Attila Grandpierre kommt die Aufgabe zu, in seinem Gesang eine Art metaphysisches Treffen mit den Kavallerien des historischen Hunnenkönigs zu skizzieren. Grandpierre röhrt derart fulminant in den Aufnahmeraum, in die Steppe und von der Bühne runter, daß bestenfalls ein Vergleich angemessen erscheint: Franz Treichler, Chef der Young Gods, hinterläßt bei seinen Konzerten ein ähnlich eindrucksvolles Gefühl von kollektivem Unterbauch wie Attila Grandpierre.

Dazu stürmt die Band in Standard- Rockbesetzung durch die Temperamente und spielt wild- motzig ihre Eingeweide gegen folkloristische Elemente aus. Über den Anfang der Gruppe schwadroniert Attila Grandpierre glaubhaft: „Bei der ersten Probe erkannten wir innerhalb von zwei Minuten, daß es kein Problem war, irgendetwas zu spielen oder nachzuspielen. Wir ta

1ten etwas, das wir vorher noch nicht gekannt hatten. Das amüsierte uns mehr, als zu lernen, etwas gut zu können oder ein netter Junge zu sein.“

Vagtazo Halottkemek legen mehr Wert auf die eigene Herausforderung, als sich über Wirkungen ihrer Musik Gedanken zu machen. Daß persönliche Radikalität gleichberechtigt neben dem spirituellen Anspruch seiner Arbeit steht, mag das Mißverständnis darüber begründen, welche Inhalte Attila Grandpierre in seinem Medium ohne die Gefahr von Verbrämung aufgreifen kann. Nichtsdestotrotz: Großer Mann, klasse Ideen, gute Band. Kristof Schreuf

19.8., Fabrik, 21 Uhr