Orientierungshilfe für die Lebenswelt West

■ Das Imagestudio Atmeum in Ost-Berlin verpaßt Ostdeutschen ein neues Outfit/ Der Leidensweg von Birgit Bergner: Die Büroangestellte aus Sachsen-Anhalt kam extra nach Berlin — und kehrte verwandelt, aber auch verunsichert zurück

Berlin. Nur ein neues Aussehen wollte sie haben, nur für sich selbst. Dafür hat Birgit Bergner*, arbeitslose Büroangestellte aus Wolfen in Sachsen-Anhalt, extra den weiten Weg nach Berlin zurückgelegt — mit ihrem Ehemann. Aus der Zeitung hatte sie von Torsten Schlingelhofs und Jutta von Brunkaus »Imagestudio Atmeum« erfahren. Für 600 Mark, so stand es reich bebildert in einem Boulevardblatt, verspricht das Studio in der Wilhelm-Pieck-Straße 159 am Outfit zu feilen.

Jetzt sitzt die 33jährige, erschöpft von der fünfstündigen Bahnfahrt und leicht verunsichert durch die kühle Wartezimmeratmosphäre des Studios, an Schlingelhofs Schreibtisch und läßt sich erklären, was das Studio Atmeum (das hat mit Latein nichts zu tun und ist nur aus »Atme um« zusammengesetzt) unter Imageberatung versteht: »Unsere Designerin wird jetzt Ihren Hauttyp analysieren und Ihnen Stiltips geben.« — »Wissen Sie«, mischt sich der Ehegatte ein, »meine Frau ist ein ganz schwieriger Fall, ihr steht kaum mal ein Kleid. Schon lange wollte sie ihr Äußeres verändern, nur wir wußten nie, wie wir das anstellen sollten.«

Aber es ist nicht nur die mit den Klamotten von der Stange nicht harmonierende Figur, die besonders Frauen aus den neuen Bundesländern bei Torsten Schlingelhof Rat suchen läßt. Individualität und Persönlichkeit durch Kleidung auszudrücken, war in der DDR schwierig. Das Grau-in-Grau der VEB-Kollektionen ließ einen individuellen Stil kaum zu.

Nach der Vereinigung war das altgediente Polyester-Hemd auf einmal eine »Ossi-Klamotte«. Viele fühlten sich in ihrer Kleider-Haut nicht mehr wohl; das unübersichtliche Angebot der Hip-und-Hop-Konsumgesellschaft erschwerte es, einen neuen persönlichen Stil zu finden. Kein Wunder, daß Torsten Schlingelhof, der 1989 noch eine Agentur zur Imageberatung speziell für Show-Stars eröffnen wollte, mit der Marktwirtschaft das Produkt »Image« entdeckte.

Auch Birgit Bergner hat sich mit Krusseldauerwelle, Dederon-Einkaufsbeutel und geblümtem Silastic- Kleid mehr geplagt als wohl gefühlt. »Manchmal, wenn ich vom Friseur kam, hätte ich am liebsten eine Kopftuch aufgesetzt.« Kleidung ist eben doch mehr als eine beiläufige Verpackung.

Inzwischen hat die schüchterne Frau vor einem großen Spiegel Platz genommen. Andrea Engelmann, freiberufliche Designerin, legt ihrer »Klientin« — von Kunden spricht man im Studio Atmeum gar nicht gern — seidene Farbtücher um. Sie will herausfinden, welche Farben zum Hauttyp von Frau Bergner passen. Nicht jede Farbe, erklärt sie, harmoniert mit der individuell unterschiedlichen Pigmentierung der Haut.

Es gibt drei klassische Hauttypen: Frühjahr, Herbst und Winter. »Ich würde Ihnen zarte, gedämpfte Farben empfehlen. Gelbgolden, Schmuck und kräftige Muster sollten Sie meiden.« Wie alle Mitarbeiter des Imagestudios, kommt auch Andrea Engelmann aus dem Osten. Mit ihrer Stilberatung will sie ihre Klienten ermutigen, mehr aus sich herauszuholen, sich nicht mehr zu verstecken.

Schlingelhof nickt zustimmend zur Philosophie seiner Designerin; als junger Architekt habe er unter der Tristesse der Plattenbauarchitektur gelitten. Deshalb kenne er die Sorgen der »Ossis«: »Es geht nicht darum, unseren Klienten vierzig Jahre DDR- Geschichte wegzuretuschieren«, erklärt der Ex-Sänger. (»Wir hatten ganz subtile Texte.«)

Die Atmeum-Imageberatung könne »nur« helfen, eine Harmonie zwischen Innerem und Äußerem zu finden, erklärt er wortreich. Viele Ossis fühlten sich bei Bewerbungsgesprächen oder gegenüber Kollegen im Betrieb benachteiligt. Hier könne eine Imageberatung einen Prozeß in Gang setzen und etwas Orientierungshilfe geben. Alle, die zu Atmeum kämen, würden »ihr eigenes Drehbuch« mitbringen, sagt Schlingelhof. »Es ist absurd, zu behaupten, bei Atmeum würden aus Ossis Wessis gestylt«.

Andrea Engelmann hat unterdessen die Idealfarben für Birgit Bergner auf ein kleines Kärtchen geklebt: Zarte Pastellfarben als Grundton, poppige Gelb- und Rottöne zur Kombination. Die Karte soll beim Einkauf helfen. Zur »äußeren Harmonie«, wie es bei Atmeum heißt, gehören nicht nur die richtigen Farben, auch auf den Schnitt von Hosen, Kleidern und Blusen kommt es an. Sicher tuscht Andrea Engelmann zwei, drei Entwürfe für ihre »Klientin«. Selbst eine passendere Brillenform kann sich die Designerin vorstellen. Titanfarben und katzenförmig müßte das neue Gestell sein.

Peter Borgol, früher Maskenbildner bei der DEFA, steht, die Stilberatung seiner Kollegin beobachtend, eine ganze Weile neben dem Schminktisch. Er will für Frau Bergner eine neue Frisur und ein Minimal-Make-up entwickeln. »Sie müssen doch Ihr Gesicht nicht verstecken. Ein femininer Kurzhaarschnitt wird Ihnen viel besser stehen«, verspricht Borgol. Frau Bergner, die die Beratung meist schweigsam, aber mit spürbarer Erleichterung, über sich ergehen läßt, ist nicht ganz überzeugt: Sie möchte, daß die Ohren durch die Frisur bedeckt sind. Borgol bleibt dabei und bespricht den Haarschnitt mit dem Friseur des Studios, Rolf Oscar.

Als Frau Bergner mit ihrem Mann das Studio verläßt, ist der Frühzug nach Wolfen die nächste Verbindung. Sie will wiederkommen und mit Andrea Engelmann eine neue Brille und ein paar Kleider aussuchen. »Ja«, sagt Herr Bergner, »das hätte ich abends mit meiner Frau vorm Spiegel nicht herausgefunden, was zu ihr paßt und welche Frisur wirklich die beste ist.« Da hat er recht.

Nur wann er sich selber ein neues Image verpassen lassen will, verriet er nicht. »Man hat ja als Mann gar keine Ahnung von so etwas.« Rüdiger Soldt

* Name von der Redaktion geändert