»Es hat mit Weglaufen zu tun«

■ »Der Feudel« — Ein Film mit Berlins pominentestem Stadtstreicher Klaus Lenuweit

Berlin von oben. Auf einem Hochhaus in der Kurfürstenstraße, Mercedes-Stern und Gedächtniskirche hinter sich, steht ein Mann und dichtet.

Er wäre gern die Rolltreppe im KaDeWe, sagt er, eine Straßenlaterne auf dem Ku'damm, vom Mittelpunkt der Punkt. Und endet: »Ich möchte wissen, wer ich bin. Vielleicht weißt du es.«

Nein, auch nach dem Film weiß ich es nicht, weiß aber auch, daß das nicht am Film liegt. Laut Filmtitel ist Klaus »Der Feudel«. Er ist 44 Jahre alt, in beschissenen Verhältnissen groß geworden, Heimkarriere mit allen dazugehörigen Fluchten, Spielsucht, Knast, Obdachlosigkeit und das Ganze wieder von vorne — kurz, ein »vorbestrafter Penner«, wie er selber sagt. Und: »Mein ganzes Leben hat eigentlich was mit Weglaufen zu tun.« Er weiß es. Und er tut es trotzdem. Überhaupt weiß er verdammt viel über sich und die Welt. Was nützt es ihm? Wenig.

Da sitzt man nun als psychologisch geschulte Zuschauerin und wartet auf die Konsequenz des Unvermeidlichen, auf den geradlinigen Weg in die Gosse. Fügt sich bei so einer Kindheit nicht doch eins zum anderen? Klaus selber aber mag diese Armes-Kind-Schiene nicht. Weil er weiß, wie oft er wieder auf die Beine gekommen ist, mit eigener Firma, Jobs und so weiter. Und immer wieder abgestürzt. Und immer wieder gespielt.

Dem Ostberliner Filmemacher Ingolf Seidel hat Klaus Lenuweit sein ganzes Leben geschildert, auf dem Frisierstuhl sitzend, vom Häuserdach rufend, an die Wand gelehnt. Entstanden ist so der halbdokumentarische Film »Der Feudel«, in dem Klaus von den Nächten auf dem Ku'damm, von Jobs bei Bolle und im KaDeWe, von Tagen mit hundert Mark in der Mütze, von dem Aha-Erlebnis des Kohlemachens erzählt, als er die Waschmittelautomaten im Waschsalon leerzog und das Zeug gewinnbringend verkauft hat. »'ne Weile konnten wir davon ganz gut leben.« Er erzählt von Angstzuständen, Psychiatrieaufenthalten, verschriebenen und selbstgemachten Trips. Ingolf Seidel läßt Klaus erzählen und kümmert sich um die Bilder. Im Hintergrund spielen sie wie die Verrückten Monopoly — mit scheußlich gelben, teuer aussehenden und trotzdem schmuddeligen Klamotten. In Klaus' Brillengläsern spiegeln sich mal die Spieler, mal ein kleiner Junge, der auf offener See gegen die Wellen ankämpft. »Desto kleiner man sich macht, desto kleiner wird man auch irgendwann behandelt«, weiß Lenuweit, vielleicht Berlins prominentester Stadtstreicher, »und irgendann behandelt einen ein anderer wie ein Feudel.«

Mit seinem einzigen Gesprächspartner, dem Fernsehapparat, fliegt Klaus am Ende des Films aus der Wohnung, wirft den Fernseher die Kellertreppe runter und verläßt durch den Keller den Film. Jeanette Goddar

»Der Feudel« — Ein semidokumentarischer Film über das Leben des Klaus Lenuweit. Freitag, 31.7., 22 Uhr, Montag, 3.8., im Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße