»Zwei Völker sollen vernichtet werden«

■ Glaubt man den Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina, dann spielt sich im Kriegsgebiet ein regelrechter Genozid ab

Berlin. Folgt man den Berichten der in Weißensee und Kreuzberg untergebrachten Flüchtlinge, dann spielt sich in Bosnien-Herzegowina derzeit nichts anderes als Völkermord ab. »Die Serben vernichten alles, was nicht serbisch ist«, sagt ein alter Mann, der mit Frau, Tochter und Enkeln in der Unterkunft in Weißensee lebt. »Zwei Völker sollen regelrecht vernichtet werden.« Seine Familie konnte sich vor anderthalb Monaten nur mit dem, was sie am Leib trug, retten. Von ihrem Dorf blieb nach tagelangem Bombenhagel nichts übrig: »alles abgebrannt«.

In Deutschland, sagt er, wisse man »nur ein Hundertstel von dem, was wirklich passiert«. Der frühere Elektromonteur hält das in einer Zeitung veröffentlichte Foto seiner kleinen Enkeltochter hoch, die mit tief verschrecktem Blick in die Kamera schaut: »Die Augen sagen alles.« Die serbischen Milizen hätten ihr ein Messer an den Hals gehalten. »Das wird sich psychisch auf die Kinder auswirken«, weiß er, »jetzt oder später.« Solche Leute seien keine Menschen mehr, und es sei sogar eine Schande, »das Wort Tiere für sie zu benutzen«. Aber das »deutsche Volk hat uns so brüderlich aufgenommen«, daß ihm dafür »die Worte fehlen«. Weinend bricht der alte Mann zusammen.

Von entsetzlichen Greueltaten berichten auch die drei Familien, die im April und Mai aus den von serbischen Tschetniks eingeschlossenen bosnischen Städten Modrica, Gorazde und Zvornik vertrieben wurden und nach monatelanger Odyssee in Kreuzberg eintrafen. Zuerst sei ihr gekündigt worden, berichtete eine Mutter und ehemalige Verkäuferin, denn »Moslems haben kein Recht auf Arbeit«. Dann seien sie zur Unterschrift gezwungen worden, daß sie auf all ihr Hab und Gut verzichteten, und seien mit nur einer Tüte in der Hand vertrieben worden. Die Häuser von Moslems würden von Serben beschlagnahmt, die Straßennamen würden geändert. In den zehn Tagen, in der sie auf Pässe für die Familie gewartet habe, seien »400 Menschen erschossen worden.« Sogar behinderte Kinder in Heimen seien »massakriert«, Kinder, Frauen und eine 99jährige Großmutter seien vergewaltigt worden.

Die Bevölkerung der Stadt Zvornik, berichteten die Flüchtlinge, hätte früher zu 60 Prozent aus Moslems bestanden. Heute lebten dort nur einige wenige Alte und Kranke, die nicht laufen könnten, der Rest sei vertrieben worden. Die jugoslawische Armee unter Milosevic habe diese Aggression monatelang vorbereitet, der bosnische Serbenführer Karacic sei schon drei Monate vor dem Krieg herumgereist und habe bestimmt: »Diese Stadt ist serbisch.« Serbische Kinder seien nach Belgrad oder anderswo geholt worden, dann erst sei losgebombt worden. Wer nicht gehen wollte, dem sei eine Einweisung in »Konzentrationslager« angedroht worden. Allein in Zvornik gäbe es »vier KZs«, in denen Moslems und Kroaten »erschossen« würden. Die Mitglieder von gemischt serbisch-kroatisch-moslemischen Familien würden massakriert, 50 Prozent dieser Ehepaare seien tot. Die Mitglieder der 150 Mischehen von Zvornik seien sogar sämtlich umgebracht worden. usche