: Der Traum der Basketball-Junkies
Das unschlagbare US-amerikanische Dream-Team schickte die deutsche Nationalmannschaft mit 111:68 auf die Couch/ Hansi Gnad: „Die hätten uns noch viel mehr antun können“/ Bestaunte Stopfwürfe mit Affenschaukel ■ Aus Barcelona Michaela Schießl
Die Erklärungen der deutschen Basketballer nach dem Spiel sind verwirrend: „Ein Spiel, an das wir uns immer erinnern werden, das wir aber sofort vergessen müssen.“ Was wie geistige Umnachtung wirkt, ist das Resultat einer schrecklich schönen Begegnung mit den heiligen Geistern des Basketballs. Die Deutschen sind jüngstes Opfer der besten Mannschaft, die die Welt je gesehen hat: Das Dream-Team der US-Profis hat wieder zugeschlagen, diesmal mit 111:68. Das Gefühl, gegen lauter Joker zu spielen, ist eindeutig. Als historisches Ereignis phantastisch, als sportliches Erlebnis ein Alptraum. Wer gegen die Amis spielen mußte, braucht keine Physiotherapeuten, nur noch Psychiater. Die gefragteste Eigenschaft ist Demut. „Das ist eine andere Welt, die höhere Schule“, sagt Henning Harnisch. „Die machen Werbung für den Basketball, und wir müssen darunter leiden.“ Hans Jürgen Gnad: „Die hätten uns noch mehr antun können. Für uns, mit denen sie das machen, ist das nicht so toll.“ Kujawa: „Das war ja frustrierend.“ Andererseits hat er den Himmel gesehen: „Es gibt keine Steigerung mehr. Eigentlich könnte ich jetzt aufhören.“
Auch Henrik Rödl stieß zunächst ins „Hauptsache-ich-war-dabei“- Demutshorn. „Wirklich, ein großer Spaß.“ Ganz so lustig kann's aber doch nicht gewesen sein, denn plötzlich schimpfte er los: „Ich weiß nicht, ob es nötig ist, daß solche Leute nach Olympia kommen. Wenn die das brauchen für das nationale Selbstvertrauen, na gut. Offenbar finden die das lustig, alle Teams mit 50 Punkten zu schlagen.“ Die Besten aus den Collegeteams wären für Olympia gut genug, meint Rödl. „Dann hätte man spielen können. Was das Dream-Team macht, ist, uns vorzuführen.“ In der Tat. Ihre beste Nummer: Der Drei-Punkte- Wurf bei gleichzeitiger Produktion einer gigantischen Kaugummi- Blase, die genau dann platzt, wenn der Ball in den Korb fällt. Es ist niederschmetternd.
Lakonisch nahm es der deutsche Spielmacher Detlef Schrempf, selber ein NBA-Star bei den Indiana Pacers. „Die ganze Welt fragt ständig, ob die Amerikaner wirklich so toll sind. Also bitte, schaut hin.“ Außerdem ist Olympia ein Treffen der Besten. „Das sind die Besten.“ Und die reißen sich sogar noch zusammen: „Wenn die wollten, würden wir keinen Ball sehen. Die können uns alle lächerlich machen.“ Doch selbst Schrempf, der dreimal die Woche gegen Leute wie Michael Jordan, Charles Barkley, Larry Bird spielt, schien leicht verschnupft. „Das war fürs Erinnerungsalbum und Schluß. Vergeßt das Spiel.“ Für ihn, den einzigen Gefahrenpunkt für die Amis, war es besonders schwierig: „Die waren heiß, die wollten mich schnappen.“ Eine solche Erfahrung hatte auch er noch nie gemacht. „In den USA gibt es kein Dream-Team.“
Immerhin: Die Deutschen haben ihr Ziel erreicht, die Differenz unter 50 zu halten: Beim 111:68 fehlten 43 läppische Pünktchen. Zum Vergleich: Angola minus 68, Kroatien minus 33. Wahrhaft ergreifend war der Moment, als Gnad die Deutschen in Führung warf. 2:0 nach einer Minute, die Sensation bahnte sich an. Doch dann war Ende. Unbeholfen stolperten sie zwischen den baumlangen Ewings, Jordans und Birds herum, griffen neben den Ball und platschten auf den Boden. Die Aufregung war berechtigt. Kaum ein Paß erreichte den Empfänger, fast immer wuchs eine amerikanische Hand mitten in die Flugbahn. Bälle, die eigentlich schon im Korb war, holten die Amis, die laut Schrempf nach der anstrengenden Saison noch nicht einmal in Topform sind, wieder raus. Der erste Dunking gebührte Michael Jordan. Mit voller Power packte er den Ball von oben in den Korb, das Volk tobte und johlte. Keine andere Aktion ist so gern gesehen wie der Stopfwurf mit anschließender Affenschaukel.
Zur Halbzeit (58:23) fügten sich die Deutschen in ihr Schicksal, und siehe da, sie spielten lockerer. Die Amerikaner begannen, ein wenig fürs Publikum zu zaubern. Würfe hinter dem Rücken schräg nach vorn in Hand rechts, gibt ab an Hand links, Bogen, Korb. „Wir sind der Traum eines jeden Basketball-Junkies“, jubilierte Charles Barkley, der als Enfant terrible sorgsam sein Ghetto- Image („Wer von dort kommt, hört nie auf zu kämpfen“) pflegt. Die Vorteile des Dream-Teams: „Geschwindigkeit, Talent, Kraft und ich.“ In Wahrheit gibt es noch ein paar andere Vorteile, die da heißen: Michael Jordan, Magic Johnson, Clyde Drexler, Pat Ewing, Larry Bird, John Stockton, Scottie Pippen, Karl Malone, David Robinson, Christian Laettner und so weiter. Und Chris Mullin, der gemeinerweise schallend zu Lachen begann, als der kleine Deutsche Andres aufs Feld lief. Fest steht: Die Dreamer spielen ein anderes Spiel. Blitzschnelle Traumpässe, exotische Kombinationen, atemberaubende Sprünge, geniale Würfe aus unmöglichen Situationen. Umsonst alle Hoffnungen, das unterschiedliche Regelwerk, der andere Ball, die unbekannten Schiedsrichter bei Olympia würden die Magie aus dem Spiel der Zauberer nehmen.
Als Trost bleibt den bemitleidenswerten Konkurrenten eigentlich nur eins: Die Superstars der Spiele sind völlig isoliert. Sobald sie aus ihrem Luxushotel auf die Straße treten, tritt der Piranha-Effekt ein: Stampede- artig fallen die Fans über sie her, selbst beim Besuch im olympischen Dorf. Nur Charles Barkley, hart im Nehmen, wagte sich auf ein Bier auf die Ramblas. Die Wirkung war zufriedenstellend. Barkley: „Es gab eine Panik.“
USA: Barkley (14), Jordan (15), Malone (18), Drexler (9), Pippen (4), Ewing (4), Robinson (9), Bird (19), Mullin (13), Laettner (6)
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