Kunst der Ausstellung

■ documenta9: 16 Millionen — Visitenkarte für Jan Hoet

Bei den Kasseler „Reden zur documenta“, abgehalten von den per Gruppenticket im Pulk angereisten Stammautoren der Zeitschrift Texte zur Kunst, faßte Beobachter Rainald Goetz den Meinungsbildungsprozeß zum 100-Tage- Spektakel zusammen: a) Man habe auf der documenta keine Kunst gesehen, und b) Jan Hoet ist der einzige vertretene Künstler. So gesehen wird nicht der selbst an Journalisten teuer verscherbelte dreibändige Schuber als Standardwerk die 92er-Schau überdauern, sondern die kostenlos abgegebene Pressemappe (Herausgeberin: Claudia Herstatt). Damit jeder kapiert, was hier wirklich zählt, findet man neben Abbildungen der leeren (!) neuen Gebäude obenauf ein Porträtfoto von Hoet.

„Diese Pressemappe ist nicht nur für den heutigen Tag gedacht“, schreibt das Pressebüro. Die regelmäßigen „Aussendungen“ können „mit Hilfe der Klemmvorrichtung“ eingeheftet werden und komplettieren sich „zu einem Nachschlagewerk“. Schnell abgehakt ist die Künstlerliste (Pressetext Nr.1 vom 14.Januar). Dann geht es um „Das Team“, welches drei Jahre lang für „die Verwirklichung der weltweit wichtigsten Schau zeitgenössischer Kunst“ herumreiste. Von Hoets Mitarbeitern hörte oder las man wenig, vom Chef jedoch permanent: Alles — vom zweifachen Pressemarathon mit Diashow über Jan-Hoet-T-Shirts bis zur von ihm handsignierten Sonderedition einer Markenzigarette — ist auf ihn zugeschnitten. Er dealt mit austauschbaren Dias und behandelt die eingeladene Kunst wie disponable Möbelstücke, die nicht mehr sein müssen als eine über 16 Millionen Mark teure Visitenkarte für den Hausherrn.

Jan Hoet ist der oberste Polizist seiner „Weltausstellung“: Da muß nicht nur das Erscheinungsbild stimmen — „DOCUMENTA IX als Ereignis 1992 immer in Versalien, die Ausstellung als Institution immer in Kleinbuchstaben; auch die 9.documenta kann im Zusammenhang der Ausstellungsfolge als documenta9 bezeichnet werden“ — sondern auch Hof und Garten reingehalten werden: Kawamaras „Volksgarten“ aus Bretterbuden auf der Auewiese — eigentlich ein Verweis auf Slums und Obdachlosigkeit — bekam einen Hilfssheriff spielenden „Hausmeister“ zugewiesen: „Ein wohnungsloser Künstler wacht nun darüber, daß er der einzige Bewohner im Hüttendorf an der kleinen Fulda bleibt.“ Zusätzlich kontrolliert Geschäftsführer Alexander Farenholtz mit „täglichen Runden über das Terrain“, daß von „Möchtegernteilnehmern“ eingeschmuggelte Kunstwerke wie „Augenstanzmaschinen, bemalte Gießkannen, diverse Draht- und Metallskulpturen“ sogleich entfernt werden.

Neben all den Begleitbüchern im Stil von „Jan Hoet — Auf dem Weg zur DOCUMENTA IX“, die vorrangig Personenkult betreiben, sollte zusätzlich noch regelmäßig eine Zeitung erscheinen. Dann jedoch plötzlicher Sinneswandel: „Die journalistische Umsetzung überläßt die documenta den Medien.“ Herzlichen Dank. Jochen Becker