Ritterin der Hoffnung

■ „Olga“ — Fernando Morais Roman über das Leben der Münchner Kommunistin Olga Benario

Berlin, am 11.April 1928: Ein 15jähriges Mädchen drückt im Verhandlungssaal des Kriminalgerichts Berlin-Moabit dem Justizobersekretär Ernst Schmidt eine Pistole in den Nacken. Mit Hilfe von einem halben Dutzend Jugendlicher gelingt es dem Mädchen, den wegen „Hochverrats“ angeklagten Kommunisten Otto Braun aus den Fängen der Weimarer Justiz zu befreien.

Die „tollkühne Wildwest-Pistolen-Szene“, wie die Berliner Zeitungen schon wenige Stunden später die gewagte Befreiungsaktion betiteln, ist der Auftakt des brasilianischen Romans „Olga“, in dem Fernando Morais die authentische Geschichte einer jungen Kommunistin aus München beschreibt. Der in Reportageform abgefaßte Roman, der in Brasilien nach seiner Veröffentlichung 1985 sofort zum Bestseller avancierte, ist in der sehr gelungenen deutschen Übersetzung von Sabine Müller-Nordhoff jetzt auch als Taschenbuch im Rowohlt Verlag erschienen.

Wagemut und radikale Treue gegenüber den Zielen des Kommunismus verhelfen Olga Benario am Ende der Weimarer Republik zu einer steilen Karriere innerhalb der Kommunistischen Partei. Schon mit 15 verließ sie ihre wohlhabende jüdische Familie und schloß sich den Genossen an.

Nach der Befreiung ihres Geliebten und Gleichgesinnten aus den Gefängnismauern von Berlin-Moabit macht sich Olga mit Otto in das Land ihrer Träume auf: die Sowjetunion. Dort erweist sie sich als verläßliche Kommunistin und wird in die Neue Welt geschickt, genauer gesagt: nach Brasilien.

Auf Anweisung der Kommunistischen Internationale soll Olga in den Tropen zusammen mit dem legendären „Ritter der Hoffnung“, Luis Carlos Prestes, einen Volksaufstand vorbereiten. Der Rebell Prestes war von Moskau für diese Aufgabe auserkoren wurden, weil er bereits mit seiner 600 Mann starken Kolonne im Jahr 1926 dem damaligen brasilianischen Präsidenten Artur da Silva Bernades zwei Jahre lang erfolgreich Widerstand geleistet hatte.

Doch das minutiös geplante Aufbegehren des Volkes im November 1935 scheitert kläglich. Das hoffnungsvolle Klima der Verschwörung, die Arbeit im Untergrund und das Netz von Agenten und geheimen Kontaktpersonen wird durch Folter und Festnahmen aller Aufständischen abrupt beendet. — Fernando Morais zeigt, wie eng die Verbindungen zwischen Nazideutschland und Brasilien waren. Die Loyalität des damaligen populistischen Präsidenten Brasiliens, Getulio Vargas, gegenüber Adolf Hitler war so groß, daß er Olga Benario im siebten Monat ihrer Schwangerschaft trotz des Verbots der brasilianischen Verfassung und der Verletzung des internationalen Seerechts an die Nationalsozialisten auslieferte.

Als Olga Benario im Hafen von Rio am 23.September 1936 das Schiff „Coruna“ nach Hamburg besteigt, ist ihr Todesurteil bereits gefällt. Die Briefe, die sie an ihren Mann aus dem Konzentrationslager Lichtenburg bei Prettin verfaßt, sind erschütternd. Bis zur letzten Minute ihres Lebens zehrt die unerschrockene Kommunistin von ihrer Kraft, für „das Richtige, das Gute, das Beste auf der Welt“ gekämpft zu haben.

Trotz Zwangsarbeit brachte Olga ihre Leidensgenossinnen im KZ dazu, in den frühen Morgenstunden Gymnastik zu machen und Wert auf die persönliche Hygiene zu legen. „Wenn wir mit Würde behandelt werden wollen, müssen wir uns wie menschliche Wesen und nicht wie Tiere verhalten“, beschwört sie die Frauen in ihrem Block. Regelmäßige Verhöre und Folterungen halten sie nicht davon ab, den Frauen immer wieder Mut zuzusprechen. „Es gibt ein Land, das dem deutschen Vormarsch Einhalt gebieten wird: die Sowjetunion“, versichert sie immer wieder.

Erst kurz vor ihrem Tod spürt Olga, wie die ungeheure Lebenskraft schwindet: „Heute weine ich, unter der Decke, daß es niemand hört, heute ist es, als ob die Kraft nicht ausreicht, so Furchtbares zu ertragen, und gerade deshalb will ich versuchen, schon jetzt von Euch Abschied zu nehmen“, schreibt sie in der letzten halben Stunde vor ihrem Abtransport in die Gaskammer des Vernichtungslagers Bernburg.

Nach Olga Benario sind verschiedene Straßen, Schulen und Fabriken in der DDR benannt worden. Auch in der Stadt Riberao Preto, im brasilianischen Bundesstaat Sao Paulo, trägt eine Straße ihren Namen. In ihrer Heimat jedoch ist die Münchner Jüdin so gut wie unbekannt.

Die Sowjetunion, Olgas Symbol für ein gerechteres System, ist inzwischen in sich zusammengebrochen. Doch die Suche nach dem „Richtigen, Guten, Besten auf der Welt“ geht weiter. Astrid Prange

Fernando Morais: „Olga“. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Sabine Müller-Nordhoff, Volksblatt Verlag, 1989, 416 Seiten, 39,80DM.

Auch bei Rowohlt, 1992, 370 Seiten, 14,80DM.