GASTKOMMENTAR
: Schaler Beigeschmack beim Sonderflug nach Berlin-Tegel

■ Die Wiedergeburt Honeckers als Repräsentant der DDR

Triumphgefühle hat die Rücküberstellung des Erich Honecker in die Bundesrepublik kaum ausgelöst, allenfalls Sensationsgier. Die Angelegenheit hat einen schalen Beigeschmack. Die Diskrepanz zwischen der Beachtung aller diplomatischen Formen bei Honeckers Besuch in der Bundesrepublik im Jahre 1987 und seinem heutigen Empfang, zwischen Schloß Gymnich bei Bonn und Berlin-Moabit, ist allzu augenfällig. Die Verbrechen, für die er heute vor Gericht gestellt wird, waren seinerzeit schließlich allgemein bekannt. So drängt sich die Vermutung auf, daß es gar nicht so sehr um diese konkreten Taten geht, sondern um die Bestrafung des Mißerfolgs und den vergeblichen Versuch, frühere Kooperation vergessen zu machen.

Gestürzte Tyrannen haben fast immer etwas Lächerliches an sich. Ihre exemplarische Bestrafung kann befreiend wirken. Doch die „Revolution“ ist längst vorbei. Es wird allenfalls ein Medienspektakel werden. Honecker war ein kleiner und sehr langweiliger Diktator, auch deshalb ist von dem Prozeß gegen ihn keine kathartische Wirkung zu erwarten. Es wird ein Gezerre um Verfahrensfragen und die maximale Auslegungsfähigkeit des DDR-Strafrechts werden. Die „Gerechtigkeit“, die sich manche von diesem Prozeß erwarten, wird er nicht verwirklichen können. Das, was Honecker vor allem vorzuwerfen ist: Mithilfe bei der Errichtung einer Diktatur und politische Unfähigkeit, sind nicht justitiabel.

Einen schalen Beigeschmack hat die Angelegenheit auch deshalb, weil die Umstände seiner Auslieferung kein gutes Licht auf alle Beteiligten werfen: auf Chile nicht, dessen Regierung wohl nicht eigener Einsicht, sondern deutschem Druck gefolgt ist. Auf die russische Regierung nicht, die aus demselben Grund mit allen Mitteln vermieden hat, ein russisches Gericht mit einer Überprüfung dieser Sache zu befassen. Und auch die bundesdeutsche Politik verbissener Verfolgung eines starrsinnigen Greises hat eher Zweifel geweckt, ob sie vom gewachsenen internationalen Gewicht Deutschlands mit dem rechten Augenmaß Gebrauch zu machen versteht.

Und schließlich hinterläßt auch der Umstand einen schalen Geschmack, daß dieser Erich Honecker einen zwar verfehlten, in Teilen aber respektablen Lebensweg zurückgelegt hat. Er hat mit hohem Einsatz gegen die Nazis gekämpft und hat dafür zehn Jahre im Zuchthaus gesessen. Daß er später zum bestimmenden Funktionär einer bürokratischen Diktatur wurde, hatte unmittelbar mit dem Versuch zu tun, daraus radikale Konsequenzen zu ziehen.

Gewiß ist es nur konsequent, auch den Staatsratsvorsitzenden vor Gericht zu stellen, wenn man die kleinen Mauerschützen aburteilt. Doch den Irrweg des deutschen Kommunismus darauf zu reduzieren, daß der SED-Generalsekretär — wegen des Grenzreglements — ein „Totschläger“ war, worauf die Anklage der Berliner Staatsanwaltschaft hinausläuft, ist der Sache schlicht unangemessen.

Die schlimmste Strafe, die für Honecker denkbar ist, verbüßt er bereits: aus seiner Scheinwelt herausgerissen zu werden und mitansehen zu müssen, daß sein Lebenswerk zu nichts geworden ist. Durch die Aufmerksamkeit, die ihm nun wieder zuteil wird, und durch den Prozeß wird er noch einmal in eine vergangene Welt zurückgeholt werden. Er wird sich ein letztes Mal als „Repräsentant der DDR“ fühlen. Trotz aller staatsanwaltschaftlichen Bemühungen, den „individuellen Tatbeitrag“ festzustellen, wird man ihm darin noch nicht einmal widersprechen können.

Ob das der Entwicklung von Rechtsbewußtsein in Deutschland, der Aufarbeitung der ganzen deutschen Geschichte und der Integration von Ost und West tatsächlich dienlich ist, ist ziemlich zweifelhaft. Walter Süß