Lebender Sklavenhalter

■ Zum 80. Geburtstag des Monetaristen Milton Friedman

Berlin (taz) — Milton Friedman könnte US-Amerikas Staatsfeind Nummer eins sein. Der Wirtschaftswissenschaftler, der heute 80 Jahre alt wird, traut dem Staat per se nichts Gutes zu. Alle Wohlfahrt, derer sich die US-AmerikanerInnen erfreuen, sei nicht wegen staatlicher Politik zustandegekommen, sondern trotz der Politik. Oder in der Sprache von Friedmans Klassiker „Kapitalismus und Freiheit“: „Die unsichtbare Hand erreicht mehr Fortschritt als die sichtbare Rückschritt.“

Friedman hat in den vergangenen 30 Jahren eine schillernde Rolle als wirtschaftspolitischer Berater gespielt. Er beriet die amerikanischen Präsidenten Richard Nixon und Ronald Reagan. In Chile ließ sich Friedman als Experte für Diktator Pinochet anheuern, und Maggie Thatcher griff in ihren frühen Regierungsjahren gern auf den Rat des 1976 mit dem Nobelpreis geehrten Wissenschaftlers zurück.

In Chicago hatte Friedman als Professor eine eigene wirtschaftspolitische Schule herausgebildet. Die „Chicago Boys“ glauben nachweisen zu können, daß die Geldmengenpolitik das zentrale Instrument für eine stabilere Wirtschaftspolitik sei. Mit diesem „Monetarismus“ setzten sie sich schroff von den Lehren der damals beherrschenden Keynesianer ab. Diese halten staatliche Ausgabenprogramme in der Rezession für das beste Rezept, um das Wirtschaftswachstum zu verstetigen.

Im Grunde lag der Theorie Friedmans das Menschenbild eines homo oeconomicus zugrunde, der jederzeit rational auf seine wirtschaftliche Umgebung reagiert. Keynes vermutete dagegen Irrationalitäten im wirtschaftlichen Handeln der Einzelnen, denen durch staatliche Konjunkturprogramme entgegengesteuert werden müsse.

Friedman nur als rechten Ökonom einzusortieren, würde dem streitbaren alten Mann nicht gerecht. In den sechziger Jahren propagierte Friedman eine negative Einkommenssteuer, die der Staat allen auszahlen sollte, die nicht genug verdienten. Dieses Grundeinkommen, so Friedmans Argument, komme vom Verwaltungsaufwand viel billiger als staatliche Sozialbürokratien. Staatsfeindlich wie er war, stritt Friedman gleichzeitig gegen die Zwangsrekrutierung junger Amerikaner während des Vietnamkriegs und das Verbot von Drogen.

Friedman ist der vielleicht einflußreichste Wirtschaftstheoretiker der letzten Jahrzehnte. Sein Antipode John Maynard Keynes schrieb schon 1936: „Die Ideen der Wirtschaftswissenschaftler und politischen Philosophen sind viel mächtiger, als man im allgemeinen annimmt. Die Männer der Praxis, die sich stets unabhängig von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendwelcher toter Wirtschaftswissenschaftler.“ Manchmal auch die der Lebenden. Hermann-Josef Tenhagen