piwik no script img

Honeckers Richter übte bei Springer Kolumnen

■ Der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer: Ein strammer Reaktionär, der stets wußte, daß der Feind links steht

„Das weitere Schicksal Erich Honeckers liegt jetzt in den Händen seiner unabhängigen deutschen Richter“, so oder so ähnlich verlautbarten am Abend der Rücklieferung E.H.'s die Repräsentanten der bundesdeutschen Justiz: Die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach und der Genscher-Nachfolger Klaus Kinkel (der als Chef der westdeutschen Spionagetruppen auch schon mal für die Ausspähung der DDR zuständig war).

Einer dieser „unabhängigen Richter“ ist der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer27 des Landgerichts Berlin. Hansgeorg Bräutigam wurde am 3. Mai 1937 geboren und machte 1964, drei Jahre nach dem Mauerbau, in Berlin das zweite juristische Staatsexamen. Die juristische Fakultät der Freien Universität, an der Bräutigam studiert hatte, galt nach dem Mauerbau als eine der Keimzellen der Westberliner Fluchthilfekader. Über sie gelangte ein Kollege von Bräutigam, der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer 23 des Berliner Landgerichts, Dr. Seidel, an Fluchthilfekreise. Daß er unter anderem als „Deckelmann“ an Fluchthilfeaktionen beteiligt gewesen sein soll, wurde im ersten „Mauerschützenprozeß“ bekannt, den Seidel leitete.

Bräutigam machte in der Berliner Justiz eine steile Karriere: 1967 wurde er Landgerichtsrat, widmete sich dann Anfang der siebziger Jahre als Pressereferent der Justizverwaltung der Außendarstellung der Berliner Justiz, die in diesen Zeiten die rebellierenden Studenten und ihre Anwälte verfolgte. 1977 wurde er Ermittlungsrichter am Kammergericht. In dieser Funktion ließ er einen Anwalt verhaften, dem er vorwarf, an einem Ausbruchsversuch des Untersuchungshäftlings und Lorenz- Entführers Till Meyer beteiligt gewesen zu sein. Die Vorwürfe lösten sich in Luft auf, das „Verbrechen“ des Anwaltes bestand darin, daß er seinen Mandanten zufällig besucht hatte, als dieser ausbrach.

Gegen einen anderen Anwalt verhängte Bräutigam ein Verbot, als Verteidiger tätig zu sein, weil dieser eine Hungerstreikerklärung zur Unterstützung seines Mandanten Fritz Teufel verbreitet hatte. Fritz Teufel saß damals bereits über zwei Jahre in Untersuchungshaft, weil er ebenso an der Lorenz-Entführung beteiligt gewesen sein soll — nach weiteren drei Jahren stellte sich heraus, daß der Vorwurf aus der Luft gegriffen war, Teufel mußte freigesprochen werden.

Bräutigam ließ auch drei junge Mitarbeiter der linken „Agit“-Druckerei verhaften. Ihnen warf er vor, eine linksradikale Untergrundschrift der Gruppen undogmatischer Linken, das Info-BUG, gedruckt zu haben. Wohlgemerkt: gedruckt! Sie waren Drucker und keineswegs Autoren oder Redakteure der Zeitung. Das Verbrechen: Info-BUG hatte zwischen 600 anderen Artikeln im Laufe der Jahre zwölf Kommandoerklärungen westdeutscher Guerillagruppen veröffentlicht.

Bräutigam denunzierte weiter drei Gerichtsreferendare bei ihrem Dienstherren, weil er für ein Dienstvergehen hielt, daß sie sich nach der Erschießung des für die Terroristenverfolgung zuständigen Generalbundesanwaltes Siegfried Buback weigerten, sich in der von Bräutigam geleiteten Ausbildungsveranstaltung stehend an einer Gedenkminute zu beteiligen.

Bräutigam gab zu, nachdem er in einem gegen einen Anwalt gerichteten Verfahren wegen Befangenheit abgelehnt worden ist, seit 1974 unter dem Pseudonym Georg Riedel neben seiner Richtertätigkeit als regelmäßiger Kolumnist für Springers Berliner Morgenpost tätig gewesen zu sein. Einige Kostproben: Demonstranten gegen Atomkraftwerke nannte er am 23.3.1977 „kommunistische Gruppen“, die sich „sammeln zum Sturm auf Atomkraftwerke, um Polizeieinsätze herauszufordern.“ Unter der Überschrift „Unbefriedigend“ beschrieb er am 2.4.1977 den Umgang des Rechtsstaates mit „Terroristen und ihrem geistigen Umfeld“: „Aber kaum weniger schwer wiegt die Ausbreitung des geistigen Nährbodens für den Terrorismus. Wissenschaftler, Geistliche und Publizisten pervertierten die Diskussion um den Rechtsstaat.“ Per Fernanalyse schwadronierte er über die Verteidiger im Prozeß gegen Baader, Meinhof und andere, sie hätten „Mißbrauch der Verfahrensvorschriften“ und „Verschleppungstaktiken“ betrieben.

Nach Bekanntwerden der „journalistischen“ Nebentätigkeit des Bräutigam gab es keine dienstrechtlichen Konsequenzen, Riedel versagte allerdings fortan die Feder.

Lange Jahre führte Bräutigam in den achtziger Jahren eine Wirtschaftsstrafkammer. Anwälte, die damals verteidigten, beschrieben ihn als eitel, hochfahrend und leicht erregbar. Seine Verhandlungsführung galt als konfus. Das letzte große Verfahren des Bräutigam war das Verfahren um die Millionenschieberei gegen den ehemaligen PDS- Schatzmeister Pohl und seine Mittäter. Unmittelbar danach wurde Bräutigam zum Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer 27 berufen.

Was das mit Honecker zu tun hat? E.H., geb. 1912, ist angeklagt zusammen mit Erich Mielke, geb. 1907. Bei mehreren Angeklagten bestimmt sich die Zuständigkeit des Gerichts nach dem Anfangsbuchstaben des ältesten Angeklagten, im Falle Honecker also nach „M“ wie Mielke. Für „M“ wäre geschäftsmäßig die 23.Kammer unter Vorsitz des Dr. Seidel zuständig gewesen. Vermutlich wäre die Tätigkeit des „Deckelmann“ Seidel auch in diesem Verfahren ins Zentrum der internationalen Beurteilung der rechtsstaatlichen Qualität des Prozesses gerückt.

Rechtzeitig vor Anklageerhebung stellte aber das Landgericht fest, daß die 23. Kammer des Dr. Seidel „überlastet“ ist und daß die 27. Kammer die neu eingehenden Sachen zu übernehmen habe. Damit sitzt nun nicht Seidel, sondern der ehemalige Springer-Kolumnist Riedel über E.H. zu Gericht. Johann Riedel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen