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Treudeutsches Swingfieber in Eimsbüttel

■ Mit den Erinnerungen des Hamburger "Swingheinis" Gunter Lust "The Flat Foot Floogee... treudeutsch" erschien der erste Band der Reihe "Eimsbütteler Lebensläufe" bei Dölling und Galitz

»The Flat Foot Floogee...treudeutsch« erschien der erste Band der Reihe „Eimsbütteler Lebensläufe“ bei Dölling und Galitz

Die Fruchtallee ist eine von Hamburgs Rennpisten. Wer würde heute vermuten, daß an der Ecke Fruchtallee/Heußweg vor dem Krieg das Reichs-Theater residierte, ein „für damalige Verhältnisse recht vornehmes und elegantes“ Kino. Vor 55 Jahren war die Fruchtallee noch die Promenade des Arbeiterviertels Eimsbüttel. Vor dem Kino mit dem pompösen Namen trafen sich die Swingheinis, Jugendliche aus dem Viertel, die in einer Zeit, als „deutsches“ Lied- und Gedankengut den Alltag bestimmten, dem amerikanischen Swing verfallen waren.

Im Zentrum der Erzählungen von Gunter Lust (Jahrgang 1926), die jetzt unter dem Titel „The Flat Foot Floogee...“ erschienen, stehen die Schellackplatten, denn um diese schwarzen Scheiben drehte sich das Leben der Swing-Gang. Lusts Rückblick teilt sich in zwei Teile, wobei die Zeit bis 1945 den größten Platz einnimmt. Doch der Krieg selbst, der ab 1939 über Europa tobte, wird nur selten in einen direkten Bezug zu den beschriebenen Erlebnissen gesetzt. Das Leben der Jugendlichen wurde in den Augen Lusts vielmehr bestimmt durch die alltägliche Konfrontation mit der Hitlerjugend und Auseinandersetzungen in „treudeutschen“ Elternhäusern. Die Militarisierung der Gesellschaft empfanden sie auch nicht gerade als den Hit. Die Altersgenossen von Gunter Lust, die aus bürgerlichen Häusern kamen und in Blankenese wohnten, erfuhren dagegen eine liberalere Erziehung, wie Jens Michelsen, der Herausgeber dieses Buches, in seinen informativen Nachgedanken umreißt. Die Swing- Gang aus Eimsbüttel und die „Pfeffersäcke“ aus Blankenese lagen folglich ständig im Clinch.

Mit den Lebenserinnerungen von Gunter Lust startet die Geschichtswerkstatt Eimsbüttel die Reihe „Eimsbütteler Lebensläufe“, die vom Bezirksamt gefördert wird. Das Projekt ist ein neuer Versuch von Oral-History, der Geschichtsschreibung von unten, die alltagsgeschichtliche Erfahrungen nicht- professioneller AutorInnen, den sogenannten kleinen Leuten, im Unterschied zur Geschichtsschreibung der Akten und Fakten ernst nimmt und dokumentiert.

Gunter Lusts Memoiren sind ein Beitrag gegen das Verdrängen. Jüngeren Leuten sei empfohlen, über Sätze wie „ich fraß wie ein Geisteskranker...“ hinwegzusehen und die geschichtlichen Aspekte der oft heiteren Erlebnisse aufzuspüren, die meistens sehr humorvoll beschrieben sind. Das Buch erinnert in seiner fast quadratischen Form an das Plattencover einer Single, und innen findet sich die Seitenzahl dort, wo die Platte ein Loch hat: mitten auf der Seite. Der Band ist reichlich bestückt mit Fotos aus der bewegten Freizeit der Swing- Gang, Abbildungen von damaligen Hamburger Tanzsälen, wie zum Beispiel dem anfangs erwähnten „Reichs-Theater“, und natürlich von Swing- und Schlagergrößen wie den „Original Teddies“ und „Bimbo“, dem Tricktrommler aus der Berliner „Scala“. Die ältere Generation dürften bei der Lektüre dieses Buches wohl traurige und fröhliche Erinnerungen anfliegen, Jüngere können hier nachlesen, daß es immer schon etwas lustiger war, in einer Clique Unruhe im Stadtteil zu stiften. Nikos Theodorakopulos

Gunter Lust, „The Flat Foot Floogee... treudeutsch, treudeutsch“, Erlebnisse eines Hamburger Swingheinis, Hrsg. Jens Michelsen, Dölling und Galitz Verlag, 16.80 Mark

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