Hoffen auf heißen Herbst

■ Ausländische Arbeiter sind in Westberliner Industriebetrieben die Leidtragenden der Wende/ Sie werden mehr und mehr durch Arbeitnehmer aus Ost-Berlin und Brandenburg verdrängt

Die Zeiten, in denen die Arbeiter auf die Barrikaden gingen und im Betriebsrat heftige Fraktionskämpfe um Kündigungen und Entlohnungsfragen tobten, gehören im Westberliner Elektronik-Konzern Krone schon lange der Geschichte an.

Das in Zehlendorf an der Stadtgrenze zu Teltow gelegene Unternehmen mit 1.500 Arbeitern und Angestellten präsentiert sich heute als prosperierender Betrieb, der sich im Gegensatz zu vielen anderen Firmen der Westberliner Elektrobranche keine Sorgen um die Auftragslage und die Folgen des Abbaus der Steuerpräferenzen zu machen braucht.

Rechtzeitig zur Wende hatte das familieneigene Unternehmen mit Dependancen im In- und Ausland die Fertigung von einfachen Telefonen eingestellt und auf die Produktion von Anschlußsystemen und Netztechnik umgesattelt. Bei einem Konzernergebnis von 11 Millionen Mark im Jahr 1991 und anhaltend hoher Auftragslage gelten die Arbeitsplätze bei Krone als sichere Bank.

Aber auch wenn die Produktionsumstellung ohne Personalabbau abging, ist die Wende doch nicht völlig spurlos an der Belegschaft vorübergegangen.

Leidtragende sind die un- und angelernten ausländischen Beschäftigten, weil alle freiwerdenden Arbeitsplätze mit besser qualifizierten Facharbeitern aus Ost-Berlin und Brandenburg besetzt werden. In den kampfreichen siebziger Jahren kamen von rund 2.700 Beschäftigten im Berliner Hauptwerk Krone noch 1.100 aus anderen Staaten, vor allem aus der Türkei und Jugoslawien.

»Heute«, erzählt der Betriebsratsvorsitzende Richard Rieger, »sind es noch rund 330.« Vor allem die Klein- Machnower und Teltower sind bei Krone schwer im Kommen: Rund 250 neue Bundesbürger arbeiten hier bereits. Aufgrund des großen Industriesterbens im Berliner Umland — allein im Umkreis von Teltow haben 10.000 von 15.000 Beschäftigten ihre Arbeit verloren — sind diese natürlich froh über ihren neuen Job, zumal sie hier nach den im Westen üblichen Tariflöhnen für Ostverhältnisse gut bezahlt würden.

Doch auch für Krone zahlen sich die Neuerwerbungen aus: Bei den Ost-Facharbeitern kann man bei der Einstellung leichter die Preise drücken, sprich die außertariflichen Zulagen zurückhalten. Zudem sind die neuen Fachkräfte auch im un- und angelernten Bereich vielseitig einsetzbar. »Hinzu kommt, daß sie politisch weniger aktiv und gewerkschaftlich kaum organisiert sind und alles machen, was man ihnen sagt«, weiß Rieger. »Unsere alten Kollegen wiedersprechen da schon eher.« Der Unmut der ausländischen ArbeiterInnen über diese neue Einstellungspolitik sei groß. Aber im Gegensatz zu den benachbarten Ford-Werken, wo die zu 80 Prozent aus Türken bestehende Belegschaft politisch sehr aktiv sei, ist nach Angaben von Rieger bei Krone keine große Kampfbereitschaft zu spüren. Von rund 500 in der IG Metall organisierten Krone Beschäftigten, so seine Einschätzung, seien nur 50 wirklich aktiv.

Diese wenigen Aktiven waren es wohl auch, die sich Mitte Juli zusammen mit insgesamt 200 Zehlendorfer Industriebeschäftigten an einer Protestaktion gegen die von der Bundesregierung geplante Wiedereinführung eines Karenztages im Krankheitsfall beteiligten. »Wenn Bundesarbeitsminister Blüm nicht zur Besinnung kommt«, verkündete die IG Metall bei dieser Gelegenheit, »droht ein heißer Herbst.«

Der Betriebsratsvorsitzende des Westberliner Automobil-Zulieferbetriebes Pierburg, Carl Schafhausen, kann sich dieser Drohung nur anschließen. »Wir könnten nicht mehr in den Spiegel gucken, wenn wir den Karenztag schlucken würden.« Schließlich sei die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Mitte der fünfziger Jahre hart erkämpft worden. Von Arbeitsniederlegungen bis hin »zu einem Marsch auf Bonn«, kann sich Schafhausen viele Aktionen vorstellen.

Aber die geplanten Karenztage seien bei weitem nicht der einzige Grund, um auf die Barrikaden zu gehen, sagt er mit Hinweis auf die dramatische Arbeitsplatzvernichtung in der Ostberliner Metall- und Elektroindustrie. »Bislang stirbt jeder Betrieb für sich allein«. Aber auch den Beschäftigten der Westberliner Unternehmen drohe ein böses Erwachen, wenn sich die Tendenz durchsetze, daß die Betriebe ihre Standorte aufgrund des Abbaus der Steuerpräferenzen ins billigere Umland verlagerten. Die ausländischen Kollegen würden ja überall bereits verdrängt, ohne daß jemand nachhaltig dagegen protestiere.

Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von Krone, Peter-Michael Schroetter, hält sogar »einen Generalstreik für die einzig richtige Antwort«. Trotzdem bezweifelt er, daß es zu einem heißen Herbst kommt, weil die »Kiste« aufgrund der vielen Probleme, mit denen die IG Metall zu kämpfen habe, »ziemlich verfahren« sei. »Die Westberliner Metallarbeitnehmer«, weiß Schroetter, »sind auf ihre Gewerkschaft gar nicht gut zu sprechen. Sie haben das Gefühl, gegenüber den Ostberlinern und Brandenburgern vernachlässigt zu werden.« Plutonia Plarre