Aufgeklärter Materialismus

■ »Spekulieren Sie mit Kunst«: der Schweizer Flüchtling G. P. Adam bemalt deutsche Geldscheine. Käufer dürfen moralisch dagegen argumentieren

Den beiden Alkoholikern vom ersten Stock fehlte neulich der Kunstverstand. Im Parterre hängen seit mehreren Wochen 2.000 Mark bar an der Wand: »Kohle hasse ja, wa?« Ein wenig aggressiv sei die Szene schon geworden, erinnert sich G. P. Adam, der nicht so heißt, sondern unter diesem Decknamen im Osten Berlins lebt. Er mußte aus der Schweiz fliehen, dem Staat, der von sämtlichen Kriegen dieser Welt bisher nur profitiert hat und deshalb seine männlichen Bürger lebenslänglich unter Waffen hält. Aber Adam ist Pazifist, was in der Schweiz einen Tatbestand des Strafgesetzbuches erfüllt. Riskante moralische Überzeugungen wie diese definieren die Biographie des Flüchtlings, die wiederum von der Kunst nicht zu trennen sei. Sagt er und hat vermutlich recht.

Adam provoziert, lächelt dazu, scherzen möcht' er aber nicht. Die zwanzig 100-Mark-Scheine, die er mit schwarzen, teils figürlichen, teils kalligraphischen Umrissen und blassen Farben bemalt hat, sind Botschaften einer existentiell gefärbten Kritik. Der Impuls, der dahinter steckt, ist konservativ, entstammt der enttäuschten Hoffnung auf eine Kunst, die sich den Gesetzen des Markts und des Profits entziehen könnte. Eine solche Kunst gibt es nicht, es gab sie vielleicht nie. Desillusioniert, aber eben doch auf dem Gedanken eines besseren Ideals beharrend, macht sich Adam gar nicht erst die Mühe, katalogreife Kunstwerke auf seinen Geldscheinen vorzutäuschen. Seine Malereien sind nachlässig und reizlos wie das Gekritzel eines Dilettanten. Aber Adam ist kein Dilettant, sondern ein Kritiker etablierter Qualitätskriterien. Es geht um Ware und Geld, die Noten der Deutschen Bundesbank sollen »Transportmittel« sein, sie transportieren ihren eigenen Sinn, denn ihr Wert ist eine Funktion möglicher Nachfrage. »Spekulieren Sie mit Kunst« heißt denn auch schlicht und plakativ das gesamte Ensemble, das Adam im Ostberliner Teil der Ackerstraße eingerichtet hat — in Räumen übrigens, die zuvor dem um einiges erfolgreicheren Rainer Görß als Atelier gedient haben.

Gregor Gysi schaut gelegentlich vorbei, er mag den Schweizer und den aufgeklärten Marxismus seiner Unkunst. Die Rechnung beginnt nämlich aufzugehen, genau so, wie auch Marxens Kritik des Kapitalismus im Untergang des Sozialismus ihre bisher brillanteste Bestätigung fand. Der Sieg des Marktes ist auch ein Sieg über seine transzendenten Ansprüche, ein Sieg über den privaten geistigen Wert, der den Geschäften Legitimation verleihen könnte. Es gibt nur noch Geld, und Adams Ausstellung im stark renovierungsbedürftigen Altbau Ostberlins ist ein kurzer Lehrgang für diese Dialektik geworden. Wie in einem Sakralraum hängen die 100-Mark-Scheine an den Wänden, auf Altarsockeln steht vor ihnen je eine kleine, unförmig aus Plastikmüll zusammengeknüllte Figur. Ein Werbegeschenk mit ökologischem Appel, so interpretiert Adam das materielle Substrat des Konzepts, zu dem auch noch eine Pressemappe mit Artikeln über ihn selbst gehört.

Der spekulative Umschlag der Geldmenge in Kunstqualität beginnt mit einem bedrohlichen Defizit zu Lasten des Künstlers. Adam verkauft die 100-Mark-Scheine samt Beigaben zum Preis von 80 Mark. Armut ist der Lohn der Kritik. Die Käufer machen die Sache längst unter sich aus. Und sie verdienen nicht schlecht. Eines der dreiteiligen Geld-Objekte notiert auf der informellen Börse der Adamiten bereits mit 1.600 Mark. Listig, wie es sich für Idealisten gehört, hat sich Adam für solche Gewinnfälle eine Beteiligung von 5 Prozent ausbedungen, und noch listiger versucht er seit neustem, die strapazierte Moral wieder ins Spiel zu bringen — auf seine Art jedoch, die stets von einem amüsierten Lächeln begleitet ist. Ganz falsch wäre es, darin Zynismus zu lesen. Zynisch ist nur der Markt, den Adam keinesfalls verspottet, sondern zu Ende denkt, verbunden mit der Bitte an seine Kunden, dasselbe zu tun: Wer beweisen könne, daß es unmoralisch sei, Kunstwerke meistbietend zu verkaufen, der dürfe das 100-Marks-Triptychon zum Orignalpreis behalten. Wer zum Portemonnaie greift, hat schon verloren, gar nichts ist auf diesem Felde zu beweisen. Und wer es dennoch versucht, hat es plötzlich mit der nicht mehr begründbaren Person des Künstlers zu tun. Ob eine solche moralische Argumentation nämlich schlüssig sei, das werde er, Adam, schon selber entscheiden. Und lächelt wieder. Ein intelligentes Spiel ist das auch deshalb, weil es so gar nicht versucht, sich seinerseits in Szene zu setzen. Was in der Ackerstraße 157 zu sehen ist, wirkt unbeachtlich, reichlich improvisert und wacklig. Die Alkoholiker, die über der Ausstellung mehr hausen als leben, ärgern sich, gelegentliche Passanten aus dem Osten wundern sich. Ein wenig kokettiert der Flüchtling Adam auch mit dem Klische, wonach alle Schweizer ein Nummernkonto bei ihrer Bank und ein Maschinengewehr im Schrank haben. Er hat beides nicht. Fernab aller Ideologie, ist in diesem Fall aus glaubwürdigen Gründen Kunst und Leben wohl wirklich nicht zu trennen. Niklaus Hablützel

»Spekulieren sie mit Kunst«, noch bis Mitte August, Ackerstraße 157