Macht euch bereit für eine weite Reise

■ Der Kabarettist Philipp Sonntag ist mit seinem Soloprogramm »Komiker« in der »Bar jeder Vernunft« zu Gast

Philipp Sonntag kommt von rückwärtig. An der Bar vorbei bahnt er sich seinen Weg zur Bühne, drängt sich, als sei er zeitlich schon mächtig in Verzug, an den verdutzten Kellnern vorbei, bricht gestikulierend eine Gasse in sein Publikum und bleibt erst abrupt stehen, als er das Schild »Notausgang« schon mit den Wimpern hätte berühren könnte. »Ach, es ist alles verkommen, verfault und verrottet auf diesem Planet Merde« schleudert er uns die Botschaft des Jahres 1981 entgegen. Elf Uhr fünfundfünzig sei es, wenn nicht noch später, mahnt er mit ernster Miene, und Philipp Sonntag wedelt zur Unterstützung seiner These mit einem blauen Luftballon, den er wie zufällig in seiner Hand hält.

Das Publikum in der Bar jeder Vernunft hört gutwillig hin, schließlich weiß man bei so einem wie dem Philipp Sonntag ja nie, wohin die Pointe gleich steuern wird. Da gibt es auch schon den ersten Knall. Der Mann auf der Bühne hatte gerade den berühmten starken Mann eingefordert, der mit den berühmten starken Händen den berühmten Karren Erde aus dem berühmten Dreck ziehen könnte, da platzt bei dem Stichwort »zupacken« programmgemäß der Luftballon mit einem satten »Peng«!

»Haha«, machen einige anspruchslose Leute im Publikum, andere warten auch nach diesem Knall noch auf die eigentliche Pointe. Aber der hyperaktive Kabarettclown ist schon bei seinem nächsten Geniestreich, jetzt sinniert er über seine Rolle als »armer Possenvertreter«, gibt sich uns als Narr zu erkennen, der in diesem Moment sein Narrenschiff besteigt — »Leute, macht euch bereit für eine weite Reise!« —, und als »Kaptein auf den Brettern, die kein Geld bedeuten«, navigiert er die Jolle in den kommenden neunzig Minuten durch alle Untiefen des One- man-show-Entertainments.

»Warum sind Sie eigentlich nicht gekommen?« blafft er beispielsweise den leeren Stuhl in der ersten Reihe an, auf daß die Dame daneben ängstlich zusammenzuckt. Dann dreht er plötzlich ab, verbeugt sich vor den Damen und Herren im Kreisrund, die immer noch auf die Pointe von vorhin warten, und bedankt sich abschließend dafür, daß wir heute abend alle da waren. »Ist das nun ein Scherz?« fragen sich die Leute, lachen eher höflich als aus Überzeugung und sind erst beruhigt, als sie merken, daß die Show doch noch weitergeht. Denn bezahlt hat man doch schließlich für mehr, oder?

Und Philipp Sonntag tourt jetzt wirklich auf, erzählt eine eigenwillige Geschichte nach der anderen — alle ohne Pointe, aber immerhin mit viel Gefühl. Wenn ihn das Grauen schüttelt, wabert sein ganzer Körper, er kriecht und buckelt, rollt mit den Augen — und, wo immer es geht, auch mit dem »r«. Da werden die Leute wieder aufmerksam, meinen nun endlich, den Sinn dieser Veranstaltung verstanden zu haben und lösen vorschnell die abwehrend verschränkten Arme wieder auf, um ein Schlückchen am Weinglas zu nippen. Aber auch diesmal läßt uns der Maestro im Stich. »Tja, das war's, jetzt können Sie klatschen!« hilft er uns am Ende der Anekdote auf die Sprünge, und ein Herr am Bistro- Tischchen ganz rechts knotet die Ellenbogen wieder enttäuscht ineinander. »Billig war der Eintritt ja nicht«, mag er gerade denken, und daß er das jetzt absitzt.

Nun wird es tolldreist, will der Münchner Kasper auf der Bühne auch noch zehn Mark in bar, wohl wieder für einen seiner seltsamen Scherze, für die hier in Preußen niemand etwas übrig hat. »Genug ist genug!« denkt der Herr vorne rechts und verwehrt wie die anderen zahlenden Gäste trotzig die Herausgabe des betreffenden Scheins. Als sich nach minutenlanger Pause endlich eine junge Dame aus der zweiten Reihe erbarmt, führt auch das zu keiner nennenswerten Wende im Programm: Philipp Sonntag steckt das Geld ohne viel Aufhebens ein und fragt uns verdutzt: »Warum lachen Sie nicht?«

Als er später den Münchner Merkur vom Vortage zerreißt und dazu doziert »Was ist das Gegenteil von Freiheit? — Die Presse!«, gefällt das den Leuten schon eher; und trotzdem wäre wohl so manch einer in der Pause gegangen, hätte Philipp Sonntag nicht schnell noch zu einem Trick gegriffen. Kurz vor dem Aktschluß, die Leute haben noch immer kein einziges Mal wirklich herzhaft gelacht, sackt er die vielen kleinen Handtaschen der herumsitzenden Damen ein, und macht damit ein Entkommen in der Pause für viele unmöglich. Resigniert bestellt der Herr in der ersten Reihe noch einen weiteren Wein, »'s kann ja nur besser werden...«

Und tatsächlich, als Philipp Sonntag zum zweiten Mal die Bühne betritt, hat er uns irgendwie weichgekocht. Plötzlich gibt es keine Nummer, die nicht blöd genug wäre, als daß man nicht noch drüber lachen könnte. Das Narrenschiff hat die offene See erreicht, die Leute im Publikum lassen entspannt die Arme sinken. »Woher nehme ich nur immer die Kraft, Sie zum Lachen zu bewegen?« fragt sich der Kaptein, und schon wieder müssen wir lachen.

Nur der Herr rechts in der Ecke versteht immer noch nicht, warum die Leute um ihn herum am Ende dieser seltsamen Reise auch noch nach Zugaben rufen. Und so richtig können wir es uns auch nicht erklären, aber irgendwie — ja, irgendwie war es ja dann doch gut. Klaudia Brunst

Philipp Sonntag noch bis Montag täglich um 21 Uhr in der Bar jeder Vernunft, Schaperstraße