„Mein Körper ist kein Formel1-Auto“

■ Schwimm-Sprinter Nils Rudolph enttäuscht, Daniela Hunger glücklich über Silber und Bronze/ Vierte Medaille für Franziska van Almsick/ Zwei Weltrekorde/ Russisches Schwimmwunder geht weiter

Barcelona (dpa/taz) — Nur eine Erinnerung an ferne mythische Zeiten sind jene 27 Medaillen, davon elf goldene, die das DDR-Schwimmteam 1988 in Seoul holte. Zwar sind es immer noch die Vertreterinnen der alten östlichen Schwimmschule, die nach der Zertrümmerung des auf Wissenschaft und Doping gegründeten sozialistischen Sportsystems für die Metallplaketten sorgen, doch ihre Zahl ist merklich geringer geworden. Mit Silber für die Lagenstaffel sowie jeweils Bronze für die Berlinerin Daniela Hunger und Jana Henke aus Potsdam holten die Frauen am Donnerstag die Medaillen Nummer sieben bis neun im Becken des „Bernat Picornell“-Stadions in Barcelona. Die Berlinerin Franziska van Almsick erhöhte ihr Medaillen-Konto als vorletzte Schwimmerin des Lagen-Quartetts auf vier, verpaßte jedoch gestern morgen als Vorlauf-Neunte das Finale über 50m-Freistil.

Für die Weltrekorde Nummer vier und fünf der olympischen Schwimm-Wettbewerbe sorgten die Chinesin Li Lin, die in 2:11,65 Minuten die elf Jahre alte Bestmarke der Chemnitzerin Ute Geweniger über 200m Lagen um 8/100 Sekunden verbesserte, und die 4x100m-Lagenstaffel der US-Frauen, die die Bestzeit im Finale auf 4:02,54 Minuten schraubte.

„Ich bin überglücklich. Für mich ist dieser Erfolg so viel wert wie Gold vor vier Jahren“, jubelte Daniela Hunger nach ihrem dritten Platz über 200 m Lagen. In Barcelona hatte sie bereits mit der Freistil-Staffel Bronze gewonnen. Bis zur letzten Bahn hatte sich die 20jährige Kauffrau ein spannendes Kopf-an-Kopf- Rennen mit der Australierin Elli Overton geliefert. Dann spielte die Olympiasiegerin von 1988 auf der Freistil-Strecke ihre Spurtstärke aus und schlug als Dritte hinter Li Lin und Summer Sanders (USA) an. Schonn knapp zwei Stunden später hatte Daniela Hunger als Schlußschwimmerin der Staffel erneut Grund zum Jubel, als sie sich zusammen mit Dagmar Hase (Magdeburg), Jana Dörries (Potsdam) und Franziska van Almsick Silber umhängen konnte.

Jana Henke freute sich unheimlich über ihren dritten Platz über 800m Freistil: „Ich dachte, daß ich im Finale um die 8:25 Minuten schwimmen könnte. Aber nun spielt die Zeit keine Rolle mehr, sondern nur noch der Platz. Ich bin glücklich.“ Während die Amerikanerin Janet Evans an der Spitze ein einsames Rennen schwamm und im zweiten Anlauf in 8:25,52 Minuten das programmierte Gold gewann, holte die 18jährige Potsdamerin die vor ihr liegende Hayley Lewis (Australien) auf den letzten 100 Metern Schlag für Schlag ein. Beim Anschlag nach 8:30,99 Minuten fehlte ihr nur eine Armlänge zu Silber.

Für den Dresdener Dirk Richter gab es in Barcelona nichts zu erben. Der 27jährige Team-Senior, der seit 1981 bei allen internationalen Titelkämpfen Einzel-Medaillen errungen hatte, wurde im Finale über 100m Rücken Letzter. Den Sieg holte sich überraschend der Kanadier Mark Tewksbury, der Weltmeister Jeff Rouse (USA) das Nachsehen gab.

Nachfolger des Offenbachers Michael Groß als Olympiasieger über 200 m Schmetterling wurde Melvin Stewart. Der Weltrekordhalter aus den USA schwamm das Feld im Finale in Grund und Boden. Im Ziel lag Stewart mehr als eineinhalb Sekunden vor dem Neuseeländer Danyon Loader.

Der frühere Rostocker Nils Rudolph verabschiedete sich über 50 m Freistil mit Platz acht in 22,73 Sekunden von der internationalen Bühne und war maßlos enttäuscht: „Das ganze Rennen ging an mir vorbei. Mein Körper ist nun mal kein Formel1-Auto.“ In 21,91 Sekunden gewann Alexandre Popow (GUS) seine zweite Goldmedaille in Barcelona und fügte US-Star Matt Biondi (22,09) die zweite schmerzliche Niederlage zu.

„Ihr ganzes Leben hing von den Olympischen Spielen ab, eine bessere Motivation gibt es nicht“, erklärt GUS-Cheftrainer Gennadi Turetski die staunenswerten Leistungen seiner Schwimmer Alexander Popow und Jewgeni Sadowi, die sogar in der dreckigen, eiskalten Wolga regelmäßig trainiert haben. Zukunftsangst prägte den Alltag. Das Essen war knapp und schlecht, die finanzielle Unterstützung des Verbandes gleich Null. Doch der Erfolg der russischen Schwimmer in Barcelona war gerade deshalb programmiert. Sadowi holte Gold über 200 und 400 m Freistil, Popow über 50 und 100. Der Rest der Welt staunte, die hochgepriesenen Amerikaner fluchten.

Verwirren ließ sich Popow nur von der Siegerehrung: „Es ist ein komisches Gefühl, wenn man unter der IOC-Flagge einläuft und dann die russische Hymne hört.“ Was er nicht sagt: Vor Barcelona hat er sie überhaupt noch nie gehört. Die Hymne, die zu seinem größten Triumph erklang, war für ihn eine völlig unbekannte Melodie.