Die wundersame Wandlung des Emil Beck

Die Floretteusen aus Tauberbischofsheim scheitern vorzeitig, während ihr Zuchtmeister versucht, sein Image zu verbessern  ■ Aus Barcelona Michaela Schießl

Irgendjemand muß heimlich mit ihm den Ernstfall geübt haben. Emil Beck, der cholerischste Cheftrainer Deutschlands, verhielt sich angesichts des Fiaskos vor seinen Augen ungewöhnlich still: Zwei seiner Florettfechterinnen wurden gerade aus der olympischen Vorrunde gestochen, doch was den Herrscher von Tauberbischofsheim normalerweise zum Kollaps treibt, schien ihn diesmal kaum zu berühren. Er benahm sich, als habe er gerade den „Rethorikkurs für Diplomaten in Krisengebieten“ erfolgreich absolviert. „Man ist doch schon froh, wenn man eine im Finale hat.“

Man schon, aber doch nicht Emil Beck! Der Mann, für den einzig der Sieg zählt! Der Mann, der in Seoul das Fräuleinwunder initiierte, als Anja Fichtel, Sabine Bau und Zita Funkenhauser die Medaillen absahnten — dreimal schwarzrotgüldne Fahnen bei der Ehrung, ah, da lag er sich bierseelig wie christdemokratisch mit Mayer-Vorfelder in den Armen! Er, dem man nachsagt, er liebe das Fechten, weil er seine Athleten dabei so schön anleinen kann. Wie einer dieser Dackelbesitzer, die ihre Lieblinge bisweilen per Automatik- Lasso aus vollem Galopp zum Stand würgen.

Da steht er nun, der Fecht-Maniac, und gibt Floskeln von sich. Emil Beck, dem Olympiasieger Arnd Schmitt vorwirft, Gefechte gekauft zu haben, ist bemüht, sein schlechtes Image zu korrigieren. „Im Sport ist alles möglich“, kommentierte er das vorzeitige Aus für Anette Dobmeier und die Goldhoffnung Zita Funkenhauser. „Ich bin schon etwas enttäuscht, aber das muß man gelassen hinnehmen.“

Gelassen? Hat er gelassen gesagt? „Oh ja, ich werde ruhiger. Das liegt am Alter, 57 bin ich jetzt.“ Und dann krönte er, der wenige Tage zuvor einen unliebsamen Journalisten unter handgreiflichem Gerangel obszön beschimpfte, seine Vorstellung mit den Worten: „Ich ziehe mich ziemlich zurück.“

Dann läßt er sich doch noch zu gewohnten Worten hinreißen: „Die Zita hat nicht den nötigen Biß gehabt, obwohl sie Zahnmedizin studiert. Paßt gar nicht zum Beruf.“ Und dann, für einen Augenblick nur, war er wieder unter uns, der echte Emil: „An Zitas Stelle würde ich weggehen, mich irgendwo hinsetzen und schämen, die Decke über dem Kopf.“ Und Anette Dobmeier wußte, wie ihrem Herrn zumute war: „Jetzt muß die Sabine eine Medaille holen, sonst wird er wütend.“

Als Sabine Bau im Viertelfinale stand, hatte sich der gestrenge Zuchtmeister wieder im Griff. Ruhig saß er auf dem Stuhl und beobachtete den Kampf gegen die italienische Weltmeisterin Giovanna Trillini. Drei zu Null ging die Tauberbischofsheimerin in Führung, als die überaus bissige Trillini ihre Taktik änderte. Ein ums andere Mal stocherte sie in die Bausche Brokatweste, während Becks Glatze immer röter wurde. Als die Italienerin den ersten Durchgang mit 5:3 gewann, schlug Beck die Hände über dem Kopf zusammen und hielt sich die Augen zu.

Im zweiten Teilgefecht ging Bau erneut 3:0 in Führung, wieder holte das italienische Energiebündel auf. Endlich riß es Beck vom Sitz. Stehend mußte er ansehen, wie die Italienierin gewann, sich die Maske vom Kopf riß und den für die Tauberbischofsheimerin reservierten Luftsprung vollführte. Sabine Bau, die letzte deutsche Fechterin, war aus dem Turnier. Und Beck? Er versteckte sich hinter einem breiten Grinsen. Als er sicher war, daß sich alle Blicke auf ihn richteten, ging er zu seiner weinenden Sportlerin und streichelte ihr zärtlich übers Haar. Seht ihr, so kann ich auch sein!

Die wundersame Wandlung des Emil Beck scheint auch auf die Fechterinnen abzufärben. Zita Funkenhauser, die Erzrivalin von Anja Fichtel, war nicht zum Schämen abgezogen. Gelassen erklärte sie, sie habe 1991 bei der verkorksten WM bereits genug geheult. „In Seoul wäre das noch eine Katastrophe gewesen. Aber ich bin älter geworden, und abgeklärter.“ Skurril, wie sehr die Schülerin ihrem Lehrer gleicht, den ebenfalls das Alter ruhigstellt.

Kurz nach dem Heulanfall ließ sich auch Sabine Bau wieder blicken. „Fünf Minuten brauch' ich, dann bin ich wieder bei guter Stimmung. So was wie in Seoul ist halt nicht zu wiederholen.“ Einzig der sensible Olympia-Neuling Anette Dobmeier gab zu, maßlos enttäuscht zu sein, und der Frauen-Bundestrainer Neckermann. „Mit zwei Mädchen im Finale und mindestens einer Medaille hatten wir schon gerechnet.“ Von dem kollektiven Einbruch verspricht er sich einen Schub für die Mannschaft, die ab Samstag durch Anja Fichtel komplettiert wird, die sich wegen der Geburt ihres Sohnes nicht im Einzel qualifizieren konnte.

In der Tat scheinen die einst hochdekorierten Frauen jetzt erst richtig heiß. „Das motiviert für die Mannschaft“, kündigt Bau an, und Zita Funkenhauser schiebt das Kinn vor: „Ich bin noch nie ohne eine Goldmedaille aus solch einem Turnier heimgekommen. Das soll so bleiben.“ Was die große Rivalin von Anja Fichtel verschweigt, ist ihre Wut, nur mit der Konkurrentin gewinnen zu können. „Sicher, eine schwierige Konstellation“, gibt Neckermann zu, „die lieben sich alle nicht sehr. Doch als Team sind sie eine Einheit. Da feuert eine Fichtel die Funkenhauser an und umgekehrt.“