Hohe Zuwachsrate beim Mülltourismus

■ Töpfer droht illegalen Müllhändlern mit dem BKA/ Umweltverbände kritisieren „Ablenkungsmanöver“

Berlin (taz) — Wer illegal Müll nach Ost- und Mitteleuropa karrt, soll es mit dem Bundeskriminalamt zu tun bekommen. Das drohte Umweltminister Klaus Töpfer gestern in Bonn an. Schließlich stehe das Ansehen Deutschlands auf dem Spiel. Tatsächlich hat das BKA im letzten Jahr rund 200 Fälle von Mülltourismus registriert, weit mehr als in den Jahren zuvor: zum Teil sind die Müllbroker sogar so dreist, kontaminierte Erde als Humus zu verkaufen, berichtet Karl Ludwig Mohr, Referatsleiter im Bereich Umweltkriminalität. Typisch sei auch, daß die Entsorger versuchen, die Herkunft der Abfälle durch Mischung oder gefälschte Papiere zu verschleiern. Nach seinen Beobachtungen kommt derartiger Abfall überwiegend aus Westdeutschland; Töpfer hingegen sieht den Ursprung der üblen Stoffe vor allem in der Ex-DDR. Insgesamt hat die Zahl der Umweltdelikte im letzten Jahr nach einem kurzen Abflauen wieder um 5,6 Prozent zugenommen, wie aus dem gestern vorgelegten Jahresbericht des Bundesumweltamtes hervorgeht.

Allein in den alten Bundesländern und ganz Berlin seien 23.303 Fälle angezeigt worden. Grund für das Wirken der „Abfallmafia“ ist nach Töpfers Einschätzung nicht nur die weitgehend risikolose Verdienstmöglichkeit von zum Teil dreistelligen Millionenbeträgen. Auch die Knappheit der Entsorgungsmöglichkeiten in Deutschland selbst sei das Problem. Schon heute werden legal 522.000 hochgiftige Sonderabfälle überwiegend in Frankreich, Belgien und den Niederlanden abgeladen. „Es ist unverzichtbar, daß Industrie und Länder den in dem Abfallgesetz verankerten Grundsatz der Entsorgung im Inland umsetzen und endlich die für den Industriestandort Deutschland dringend benötigten Entsorgungsanlagen schaffen“, so Töpfer gestern.

Daß diese Entsorgungsstätten künftig vor allem in der Ex-DDR liegen werden, fürchtet nicht nur Günter Dehoust vom Ökoinstitut. Denn er beobachtet, daß „alle Firmen, die im Bereich Müllverbrennung und -entsorgung arbeiten, zur Zeit in Ostdeutschland rumwirbeln, um einen Standort zu ergattern.“ Vielfach handeln sie als Gegenleistung für eine dringend notwendige Bodensanierung den späteren Standort für eine Sondermüllverbrennungsanlage aus. Umweltpolitisch sinnvoll sei vor allem, für jede Altlast die optimale Entsorgungsform zu suchen und nicht alles in Müllverbrennungsanlagen zu schieben. „Aber derartige Allesfresser sind natürlich für die Betreiber und die Anlieferer des Mülls bequemer“, so Dehoust.

„Töpfer lenkt mit der Thematisierung des illegalen Müllexports von dem eigentlichen Problem ab: dem dramatisch steigendem Abfallaufkommen“, so Wolfgang Fremuth vom BUND. Allein zwischen 1984 und 1988 nahm die Menge des anzeigepflichtigen Sondermülls um rund 15 Prozent zu. Die lauten Forderungen nach Müllvermeidung vertuschten nur, daß Müll durch das Grüne- Punkt-System in Deutschland selbst zum Wirtschaftsfaktor geworden sei, mit dem sich gute Geschäfte machen lassen. Annette Jensen