Trübe Wasser, total urig

■ Teil 12 der taz-Sommerserie: In Boltenhagen und Rerik

„Das sind alles Schmierfinken“, echauffiert sich die Dame vom Boltenhagener Amt, „bei uns ist das Wasser sauber.“ Sie gehe jeden Tag im Meer schwimmen, und bislang hat die brünette Enddreißigerin keinen sichtbaren Schaden genommen. Zumal doch alle vierzehn Tage das Wasser nach EG-Richtlinien geprüft werde, und die Ergebnisse habe sie schriftlich.

Verboten hat das Baden das Schweriner Sozialministerium an 29 von 331 Badestellen im Land Mecklenburg-Vorpommern, und nach langem Nachdenken fällt der Boltenhagenerin ein: Es gebe da ein Rinnsal, noch hinter der Steilküste, da sei das Baden nicht so gut, bloß gehe da ohnehin niemand baden.

Boltenhagen ist das erste, große Ostseebad in Mecklenburg, ehemals DDR, woran die alte Willkommens- Tafel am Ortseingang keinen Zweifel aufkommen läßt. Am Rand der Durchgangsstraße parken hauptsächlich neue Autos aus neuen Bundesländern, obwohl man doch auf die Klientel aus Hamburg und Lübeck setzt. Die kann sich am Kastanienplatz, dem Filetstück des Traditionsbades, schon fast wie zu Hause fühlen: „Sieht alles verdammt nach Westen aus hier“, bemerkt ein junger Radler, der selber — trotz seiner spärlichen Kleidung — ganz nach Westen aussieht, aber aus Ostberlin kommt. In den frisch lackierten, finnischen Holzhäuschen, die entlang der Promenade stehen wie die Häuser auf der Parkstraße beim Monopoly, hat ein Lübecker Großbäcker eine Filiale eröffnet, der Optik-Shop daneben akzeptiert alle gängigen Kreditkarten.

„Total urig“, findet es eine Familie aus Telgte ein Stück weiter in Rerik. Im Gegensatz zu Boltenhagen ist hier der Osten noch allzeit präsent, besonders auf der vorgelagerten Halbinsel Wustrow, auf der ein Regiment der verwaisten Bruderarmee auf den Abzug wartet. Bislang ist auf der Landzunge zur Halbinsel am Tor mit den zwei roten Sternen Schluß, wenigstens offiziell: Die Lohmeyers aus Telgte waren mit ihrem Boot schon mal zum Picknick drüben. Nichts sei passiert, und sie waren auch nicht die einzigen Anleger im verbotenen Land. Der Kommandeur des GUS-Regiments sei sehr umweltbewußt, heißt es in der Stadt, trotzdem taucht auch Rerik auf der Ministerial-Liste mit den Badeverboten und besonders häufig in der Bild-Zeitung auf. In der Kurverwaltung läuft deshalb das Telefon heiß. Tatsächlich geht es um ein Stück Strand im Stadtbereich des Salzhaffs. „Wir vermuten schon Sabotage“, sagen die Damen entnervt, „von den Ostseebädern der alten Länder?“ — „Man blickt ja nicht hinter die Kulissen“, meint eine Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt, „aber die Ossis glauben das schnell. Wenn Sie mich fragen: ich nicht.“ — Das kollektive Trauma, und keiner ist's gewesen. Ein weiterer Fall von Sabotage offenbart sich unüberhörbar: Acht Zellen hat die Telekom in Rerik aufgestellt, aber nur die alte der Deutschen Post funktioniert, mehr schlecht als recht. Abends wird sie mit der Wartegemeinschaft davor zum dörflichen Mittelpunkt. „Jetzt aber mal Schluß“, wird an die Zellentür gebollert. Der drinnen traktiert derweil den Apparat mit geschickten Handkantenschlägen, entschuldigt sich hinterher, daß er seit drei Tagen endlich mal durchgekommen sei. Wer an der Reihe und an der Leitung ist, erzählt immer das gleiche: „Es gibt nur ein Telefon hier, draußen warten zwanzig Leute, jetzt fängt's auch noch an zu regnen. Schön, dich gesprochen zu haben... tschüß.“