Am Sonntag wird in Kroatien gewählt
: Tudjmans Flucht nach vorn

■ Mit vorgezogenen Neuwahlen will der kroatische Präsident Franjo Tudjman seine Macht sichern. Schon bald könnte ihn sonst sein Popularitätsverlust in die Niederlage führen...

Tudjmans Flucht nach vorn Mit vorgezogenen Neuwahlen will der kroatische Präsident Franjo Tudjman seine Macht sichern. Schon bald könnte ihn sonst sein Popularitätsverlust in die Niederlage führen. Der Liberale Drazen Budeza ist ein ernsthafter Konkurrent geworden.

Zum ersten Mal seit der diplomatischen Anerkennung werden am Sonntag in Kroatien die rund drei Millionen WählerInnen zur Urne gerufen. Sie sollen den Präsidenten und das Parlament wählen. Um die hundertzwanzig Sitze im Parlament zu erlangen, sind über 40Parteien angetreten. Anders als bei den ersten Parlamentswahlen im Mai 1990 haben diesmal auch kleinere Parteien eine Chance, in den Sabor von Zagreb zu gelangen. Damals hatten sich die noch regierenden Kommunisten ein Mehrheitswahlrecht zugelegt. Damit glaubten sie, trotz fehlender Stimmenmehrheit, die Mehrheit der Sitze erlangen zu können.

Doch die Rechnung ging nicht auf. Das Wahlrecht begünstigte die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ) des damals ebenfalls gewählten Präsidenten Franjo Tudjman. Mit ihren nationalistischen Parolen gelang es ihnen in vielen Stimmbezirken, die relative Mehrheit zu erlangen. Und das reichte für eine satte Mehrheit der Sitze im Sabor.

Diesmal werden nur noch 60 Sitze durch das Mehrheitswahlrecht bestimmt, die anderen 60 werden im Verhältniswahlrecht besetzt. Dieses Zugeständnis an die anderen Parteien schlägt nicht nur diesen gegenüber für den Präsidenten Tudjman positiv zu Buche. Denn er ist darum bemüht, im Ausland der Meinung entgegenzutreten, in Kroatien herrsche weiterhin die alte Nomenklatura in Form seiner Partei, der HDZ. Tatsächlich hatten sich 1990 viele Nutznießer und Träger des alten Systems rechtzeitig umorientiert und waren auf den Zug Tudjmans aufgesprungen. Mit der Demokratisierung des Wahlsystems hofft er nun auf eine bessere Resonanz, wohl wissend, daß im bisherigen System selbst bei einer Niederlage seiner Partei die Macht für ihn nicht verlorengeht.

Denn die Macht des Präsidenten wurde angesichts der Mehrheit der HDZ im Sabor im Laufe der letzten beiden Jahre ständig ausgebaut. Tudjman und seine Berater regieren das Land und nicht die vom Parlament gewählte Regierung. Das Kalkül des Präsidenten wurde auch bei der Festsetzung des Wahltermins deutlich: Obwohl die kroatische Regierung noch immer lediglich zwei Drittel des Landes kontrolliert und der Krieg in Bosnien-Herzegowina, aber auch in Teilen Kroatiens (Dubrovnik, Zadar etc.) weitergeht, hat er den Krieg für beendet erklärt. Er sucht seine Chance für die Wiederwahl jetzt. Schon bald nämlich könnte ihn sein Popularitätsverlust in die Niederlage führen.

Deshalb hat sich auch die Opposition im Wahlkampf auf die Präsidentschaftswahlen konzentriert. Und erstaunlich ist, daß mit dem Liberalen Drazen Budiza ein ernsthafter Konkurrent für Tudjman entstanden ist. Nach bisherigen Umfragen dürfte Tudjman im ersten Wahlgang nur 31 Prozent der Stimmen erringen und damit die absolute Mehrheit verfehlen. Im zweiten Wahlgang könnte Budiza, der schon jetzt dem Präsidenten gefährlich nahegerückt ist, die Stimmen aller Oppositionsparteien auf sich vereinigen. Denn auch die Präsidentin der Kroatischen Nationalen Partei (HNS), die Kultfigur des kroatischen Frühlings von 1971, Savka Dabcevic-Kucar wird von mehr als 10 Prozent der KroatInnen unterstützt. Und da auch noch der Rechtsradikale Dobrislav Paraga, der Führer der extremistischen „Partei des Rechts“ erkennen ließ, daß er bei einer Stichwahl seine Anhänger zur Wahl des Liberalen Budiza aufrufen würde, könnte Kroatien schon bald einen neuen Präsidenten haben. Es ist übrigens erstaunlich, daß trotz des Krieges und der dadurch aufgeputschten Gefühle Paraga bisher mit höchstens 8 Prozent der Stimmen rechnen kann. In Frankreich und Deutschland verfügen die Rechtsextremisten inzwischen ja über einen relativ größeren Anhang.

Die kroatische Gesellschaft leichtfertig in die rechtsextreme Ecke zu stellen, ist angesichts dieser Umfragen nur schwer möglich. Auch deshalb, weil sich unter dem Ökonomen Branco Horvath auch die Linke zu reorganisieren beginnt. Und in Istrien und Dalmatien regen sich Regionalisten, die dort sogar mehrheitsfähig sind. Sie fordern föderative Strukturen und die Beschneidung der Macht der Zentrale.

Das heißt aber nicht, daß es nicht restaurative Züge gäbe. Die HDZ ist eine konservativ-nationalistische Partei, die mit ihrer Definition des Kroatentums die demokratische Entwicklung einer bürgerlich-demokratischen Gesellschaft zu behindern sucht. Tudjman hat mit seiner Politik der Versöhnung mit dem rechtsextremen Exil die antifaschistische Vergangenheit Kroatiens verleugnet und damit dem Ruf der Gesellschaft in aller Welt geschadet, behaupten seine Kritiker aus dem demokratischen Lager. Das neue Familiengesetz ist papstkonform. Und indem die Erstellung eines „Heimatscheins“ über die Anerkennung als Staatsbürger entscheidet, fühlen sich die Minderheiten in Kroatien schon jetzt diskriminiert. Da auch kroatische Gastarbeiter und Exilierte wählen dürfen, befürchten Kritiker sogar eine Manipulation der Wahl. Erich Rathfelder