100 Meter Frauen-Brust! Oder: Frauen gegen Damen

■ Was man mit Dosenbier und Fernbedienung im Olympiasessel erleben kann

Wissen Sie noch, wer die zweite Goldmedaille für das deutsche Olympia-Team gewonnen hat? Nein? Ist ja auch kein Wunder. Nach acht Tagen im Fernsehsessel ist nicht nur der Hintern plattgesessen, auch das Hirn hat so einiges mitbekommen. So viele Namen, so viele Gesichter. Haben Sie auch Lea Loveless gesehen oder den amerikanischen Volleyballer Ctvrtlik? Zwei Tage habe ich gebraucht, den Mann korrekt auszusprechen.

Richtig interessant ist die TV- Olympiade ohnehin morgens zwischen acht und elf. Wenn da die Ruder-Damen aus Surinam in den Vorläufen des Doppel-Zweiers den Konkurrentinnen aus Taiwan chancenlos hinterherbrettern, steigt schon zu früher Stunde der Chips-Verbrauch. Aber noch ganz andere Tragödien spielen sich am Lago Banyoles ab. Dem einzigen türkischen Skuller, Ali Bissal Bilal, rutschten doch glatt beide Ruderblätter in den Bach. Ali, der ohne ein Serviceteam auskommen mußte, sprang in die Fluten und tauchte seinen Riemen hinterher. Welch ein Sportsgeist, Reporter Wolfram Esser war nicht mehr zu halten.

Überhaupt sind es wieder einmal die Journalisten, die das olypische Treiben unterhaltsam machen. Mal spielen da die Frauen gegen die Damen, dann biegt ein Ruderboot in die Zielgerade ein. Besonders hübsch formulierten es die Kommentatoren der Schwimmwettebwerbe. Hin- und hergerissen von ihren stromlinienförmigen Lieblingen im Wasser jubelte jemand: „Jetzt kommt 100 Meter Frauen-Brust“. Und als ob es der antatomischen Skurrilitäten nicht genug sei, freuten sie sich gleich danach auf „200 Meter Männer-Kraulen“.

Viel Spaß bereitet auch der Zweitverwertungssender Eurosport, Kabel sei dank. Wenn die Öffentlich-Rechtlichen das TV- Publikum mit Detail-Analysen vom Kleinkaliber-Dreistellungs- Kampf zu fesseln trachten, lohnt immer ein Druck auf die Fernbedienung. Die Privat-Reporter nehmen wahrlich kein Blatt vor den Mund. „Herrlich“ zeichnen sich da weibliche Konturen unter hautengen Badeanzügen ab, und selbst die platt geschlagene Nase des irischen Boxers Kevin McBride wird heftig diskutiert. „So'n bißchen Nasenbluten“, ereifert sich Toupet-Träger Rauschenbach, „da zieht man tief durch und atmet, dann verkrustet das.“ Recht hat der Recke am Mikro, wir sind schließlich nicht beim lauschigen 50 Kilometer Bahngehen.

Doch alles Channel-Hopping nützt nichts, einige Fragen bleiben dem um die allerletzte Wahrheit bemühten Fernsehsportler unbeantwortet. Warum die Serben keinen Heckenschützen als Einzelstarter zum Schießen auf die laufende Scheibe entsandt haben, sagt niemand. Magdalena Müller beklagt sich zwar bitterlich, daß das Wachstum einiger Turnerinnen „chemisch“ gestoppt wurde. Aber was wir FernsehzuschauerInnen machen müssen, damit unsere turnbegabten Töchter so schön zierlich bleiben, wie die Nordkoreanerin Kim Gwan-Suk, das erklärt sie nicht. Die 16-jährige Weltmeisterin ist 135 Zentimeter groß und wiegt 29 Kilogramm.

Einmal, am letzten Freitag, konnte sogar den Hartgesottenen im Ohrensessel der Schluck Dosenbier im Hals steckenbleiben. Da schaltete die ARD völlig unvermittelt zur „Einzelverfolgung der Frauen“ um. Doch allen Männerphantasien zum Trotz machten das die Damen auf der Radrennbahn unter sich aus. Rempeln und blutige Stürze inbegriffen. Aber was soll's, „die müssen eben auch noch lernen, wo's lang geht“, fand ein männlicher Rad- Kollege. „Immerhin sind ein paar Hübsche dabei, da hat das Auge auch 'was“. Mag sein, aber die Schrumpf-Schniedel seiner männlichen Kontrahenten, die knopfartig unter den Latex-Anzügen hervorknurpeln, sind doch auch ganz lustig.

Nicht ohne Häme müssen wir Bildschirm-Athleten feststellen, daß es in der Hauptsache die Männer sind, die olympisch aus der Rolle fallen. Über die Entgleisungen des Boris B. wollen wir lieber schweigen, aber was war mit Samadow von der GUS, der wie eine Furie auf seiner Bronze-Medaille herumhopste? Und alles nur, weil er 50 Gramm mehr als der Silber- Gewinner wog. Der Boxer, der seinen Mundschutz ins Publikum kickte und danach wutentbrannt die Kampfrichter in die Flucht schlug, war gewiß keine Frau. Schließlich: Wer benutzt den olympischen Jachthafen als Präser-Deponie, und wer reitet Military-Pferde fast zu Tode?

Die Olympischen Spiele in Barcelona sind ein Jahrmarkt der Freaks. Alle vier Jahre werden wir 15 Tage zugekippt mit Informationen, 13 Stunden am Tag. Das sind über 12.000 Minuten Droge frei Haus. Seien wir ehrlich, das macht doch Spaß. Andere hauen sich die Köpfe ein, kippen besinnungslos vom Fahrrad oder kotzen sich nach übermenschlichen Anstrengungen in der Gluthitze Spaniens die Seele aus dem Leib. Derweil hocken wir entspannt vor der Glotze, gießen uns die nächste Zosche in den Hals und haben am nächsten Tag mit unseren FreundInnen jede Menge zu lästern. Übrigens: Die zweite Goldmedaille für die BRD erschoß sich der Riederer Johann. Nicht, daß Sie denken, ich wäre schon dull in der Birne. Mins Minssen