Mord in Polyamid und Schlaghosen

■ Letzte Folge: Olle „Tatort“-Kamellen mit erheblichem Unterhaltungswert

Wenn ich heute die ARD einschalte, wird eins klar: 15 Jahre älter geworden, da gibt's nix. Doch der „Tatort“, das „Reifezeugnis“ (23Uhr) bleibt sehenswert, auch wenn er nicht der beste ist. Bisher habe ich mich beharrlich geweigert, diesen wohl berühmtesten aller „Tatort“- Krimis seit seiner ersten Ausstrahlung 1977 wieder anzuschauen; ganz einfach aus dem Grund, da er nur wegen Nastassja Kinski so bekannt wurde. Es reichte, daß ein 15jähriges, heftig pubertierendes Mädel mit Kuhaugen, Hasenzähnen und Froschmaul zwei Kerls den Kopf verdrehte — ein neuer Star war geboren, und ein neues deutsches Fräuleinwunder wurde herbeigesabbelt.

Meine Güte! Und kein Mensch hat mitgekriegt, warum dieser „Tatort“ wirklich so gut war und immer noch ist, außer den fürs Programm verantwortlichen Redakteuren der ARD. Denn die dachten sich für's Sommerprogramm eine kleine Serie von Wiederholungen aus, deren Ende heute das „Reifezeugnis“ bildet. Eine Reihe vorzüglicher Krimis aus der Kinderzeit des „Tatort“, die vier Dinge gemeinsam haben: den Drehbuchautor, den Regisseur, den Hauptdarsteller und die Qualität. Entscheidend ist die Erkenntnis der vergangenen sechs Montagabende, daß die alten „Tatort“-Krimis um Klassen besser waren als der ganze Palü-Stöver-Thanner-Quark, den uns die ARD heute als Unterhaltung andrehen will. Allerdings soll den Öffentlich-rechtlichen zugute gehalten werden, daß sie nicht mehr unter solch genialen Bedingungen Krimis produzieren können wie damals.

Spätestens seit Drehbuchautor Herbert Lichtenfeld durch das Schreiben der „Schwarzwaldklinik“ in geistige Debilität verfallen ist, würden ihm kaum noch diese vielen kleinen Geschichten einfallen, aus denen er so meisterhaft eine ebenso abwechslungsreiche wie verwirrende „Tatort“-Folge zusamenpuzzelte. Auch hat ein Regisseur wie Wolfgang Petersen seit seinem „Boot“ anderes zu tun, als fürs Fernsehen in Schleswig-Holstein zu drehen. Der Star der Sommerkrimis aber ist schon längst von uns gegangen. Der gurkennasige Kommissar Finke aus Kiel. Der Anti-Held, der ebenso ruhige, wie störrische und biedere Polizeibeamte, der dennoch mit überraschender Intelligenz seine Fälle zu lösen pflegte. Leibhaftig wurde Finke durch den Schauspieler Klaus Schwartzkopf, der auch dem besten aller Filmpolizisten, Inspektor Columbo, seine Synchronstimme schenkte.

Nebenbei war der historische Unterhaltungswert dieser Folgen wahrhaft grandios. Dort liefen massenhaft Menschen mit brutal-bunten Polyamid-Anzügen, karierten Hemden oder Schlaghosen herum und brausten in schnittigen Opel-Rekord- Coupés davon; verfolgt von der Polizei im Käfer. Auch bekamen wir Götz George und Jürgen Prochnow in jugendlicher Dynamik mit gefönter Langhaarfrisur, Wolfgang Kieling und Ingeborg Schöner als Gaunerpärchen sowie Rainer Basedow und Rolf Zacher als urkomische Zuhälter präsentiert.

Doch wenn heute abend die Glotze angeht, bin ich nicht mehr so jung wie der depperte und eifersüchtige Schüler aus dem „Reifezeugnis“, sondern so alt wie der Lehrer, welcher Nastassja verführte, und ich hab schon damals gewußt: So will ich nie werden, wenn ich mal so alt bin. Dann eher schon so wie Kommissar Finke. nihil