Nichts wird, wie es war

■ Teil 13 der taz-Sommerserie: Rache am „Rollo“ in Kühlungsborn, Nostalgie in Heiligendamm

„Kühlungsborn soll noch langweiliger werden. Weg mit den Spießern!“ So hat er es nicht gesagt, aber so erschien es als Annonce im Anzeiger des Groß-Bades Kühlungsborn. Rolf Barkhorn trägt eine zu bunte Windjacke, überschlägt sich fast beim Reden, schiebt zwischendurch seine Brille die Nase hoch. Barkhorn ist der Inhaber der Discothek „Rollo“ am Bahnhof Kühlungsborn- West. Hier sitzt der Chef persönlich an der Kasse. Eintritt 99 Pfennig. „So war das nicht gemeint, aber sauer bin ich schon.“ Auf die Kühlungsborner Hoteliers, die sich über den nächtlichen Lärm in der Umgebung sämtlicher drei Discotheken am Ort beschwert hatten. In der weiteren Umgebung des „Rollo“ steht kein einziges Hotel, und tatsächlich gehe es um Rache am Bürgermeister. Der hatte an der Strandpromenade dicke Findlinge aufrollen lassen, um dort das Parken zu verhindern. Die ansässigen Gewerbetreibenden fürchteten Kundenverlust, und wenn die Discos zumachten, bliebe den Urlaubern gar nichts anderes übrig als sich in den Hotelbars zu langweilen. So sieht Barkhorn die Sache, und seit dieser Annonce ist er zum Buhmann der Kühlungsborner Geschäftswelt avanciert. „Mein Vertrag hier geht vier Jahre, bloß ob ich solange durchhalte?“ Der drahtige Typ Geschäftsmann ist Barkhaus nicht: „Wenn's schief geht, hat's wenigstens Spaß gemacht.“ Er war schon in dem Laden beschäftigt, als es noch ein offizieller DDR-Jugendclub war, hat eine mäßige FDJ-Karriere hinter sich: „Erich Krenz hat mich immer wiedererkannt.“ Ins „Rollo“ kommen hauptsächlich Jugendliche vom nahen Campingplatz, die Wahl des „Hits des Abends“ mit anschließender Verlosung moderiert der Chef selber. Die Startnummer fünf, „Am Fenster“ von City, landet heute abgeschlagen auf dem letzten Platz. Trotzdem versprüht der Laden, ganz in schwarz gestrichen und so gut es ging nachgerüstet, noch immer das Flair der alten Zeit: „Alles soll wie Westen werden, aber das werden sie nicht schaffen.“

„Heiligendamm soll wieder werden, was es war“: Auf den Plakaten der Bürgerinitiative sieht man das alte Kurhaus, dahinter einen Hochhaus- Betonklotz. Im ältesten deutschen Seebad, der „weißen Stadt am Meer“, ist momentan nur eins klar — die Vergangenheit. Herr Gellrich senior holt aus dem Vertiko die alten Fotos: „Das war die Landungsbrücke, 350 Meter lang.“ Er kam als Achtjähriger 1936 nach Heiligendamm, bald danach die NS-Bonzen zur Erholung: „Alle waren hier“, erinnert er sich, und er mittenmang, als Balljunge auf dem Tennisplatz oder mit dem Fahrrad auf der Landungsbrücke: „Die waren alle schwerreich, aber wir durften trotzdem dahin. Was soll ich sagen? Das war die beste Zeit meines Lebens.“ Er nimmt noch einen Schluck Bier und guckt versonnen auf ein Foto aus seiner besseren Zeit. Unterdessen hat Gellrich jun. Zeitungsausschnitte herbeigebracht: Die Berliner Marx-Unternehmensgruppe will eine neue Reha- Klinik mitten in einem Buchenwald bauen und so von den einzigartigen klassizistischen Bauten am Meer profitieren, ohne in sie zu investieren. Was aus den alten Häusern wird, ist völlig unklar. Das Land hat sie ausgeschrieben, doch für einen Investor rechnte sich die Altbausubstanz nur, wenn er dort gehobenen Tourismus veranstaltet, betuchte Touristen wollen aber nicht neben Kurgästen mit Schuppenflechte sitzen, denn momentan ist Heiligendamm noch ein Werktätigen-Kurbad in Abwicklung. „Dann kam der Towarisch“, erzählt Gellrich sen. Und wer kommt jetzt? Lutz Ehrlich