WAND UND BODEN
: Ärger mit der Wirklichkeit

■ Kunst in Berlin: Nina Wlachowa, Jean Ipousteguy, Yoko Ono, Goldrausch

Es gibt Kunst, die wie gemacht ist für die langen Flure in Ämtern, Behörden oder Verwaltungen. Sie schmeichelt der Pedanterie der Beamten, schmiegt sich an die gestochen scharfe Symmetrie des Hängens an oder verweilt willig zwischen Blumenampel und Aschenbecher eingerahmt; sie füllt Wände. Nach diesem Prinzip sind auch die Ausstellungen im Treppenhaus an der Albrechtstraße 129, Steglitz, konzipiert. In einer Betonstiege, die zuvor Passanten von der Auto- zur U-Bahn geleitete, verwaltet das Kunstamt des Bezirks zeitgemäße Kunst und illustriert ihre Beliebigkeit — ob als Phototapetenkitsch oder als Ausdruck von existentieller Not. Dabei kann kaum eines der Exponate, die Nina Wlachowa zur Zeit dort ausstellt, in dem Ambiente aus Autos und Beton, Gitterglas und rostigen Rolltreppen bestehen. Jedes Relief und jedes Bild wurde lediglich wie von Geisterhand in den schmalen Bau plaziert, ohne daß ein Thema, Bezüge oder gar eine Auseinandersetzung mit dem Ort stattfinden würden. Für die Installierung einiger Reliefs wurden ganz einfach die Handläufe des Treppengeländers abmontiert, damit alles besser zusammenpaßt. Allein, das Elend scheint bereits den Arbeiten mit eingeschrieben zu sein. Geschnitztes Holz, aus dem rot und gelb expressive Farbe klafft; schmuddelige Erdtöne, in denen gestisch Föntänen gehalten sind, die die Leinwand scheinbar auseinanderreißen; tieftraurige Poesie des entzweiten Individuums. Nur um die Rolltreppe hat die Künstlerin leichtfüßig Aluminiumrahmen zu Gebilden verflochten, die nun über die Treppen tanzen. Versöhnlich werden sie den eiligen Besucher kaum stimmen können.

(Bis 14.8., Di.-Fr. 14-18 Uhr, Sa. 11-14 Uhr)

Ein Mitarbeiter der Kunsthalle schaut mißtrauisch und kann sich den Spott nicht verkneifen: Die taz begibt sich in die Niederungen des Kunsthandwerks. Nun gut, als Hochkultur müssen die Skulpturen, Aquarelle und Zeichnungen des Franzosen Ipousteguy nicht notwendig gedacht werden. Andererseits: Was haben Robert Gobers abgesägte Beine, die Fickkeramiken von Jeff Koons, die scheißfarbenen Schaufensterpuppen des John Miller oder eben jener Ipousteguy mit seinen einladend in Bronze herausgestreckten Ärschen gemeinsam? Eben, den Ärger mit der Wirklichkeit. Denn die Theorie schützt sowenig vor der Praxis wie das Zeichen vor dem Verkehr. Der vor Sinnlichkeit strotzende Realismus des alten Mannes trifft dabei mittlerweile auf eine Diskussionslage, in der die Wogen zwischen Erektion, Kastration, Auge und After kein Seminar mehr zu glätten vermag. Ipousteguy schöpft demgegenüber aus dem vollen, der Fülle seiner Erfahrungen, wie so etwas in existentialistischer Spätlese heißt. In die Masken mythischer Figuren hat er einige seiner intimsten Erlebnisse während der siebziger Jahre kleiden müssen. Noch heute »mache ich zuerst einen nackten Körper, dann umhülle ich ihn«, bekennt der Künstler im Katalog und fügt seinen favorisierten Anatomen gleich mit hinzu: »Hogart, der Tarzane gezeichnet hat.« Man darf sich jedoch vom protzigen Realismus der gesunden Form nicht blenden lassen. Auch Ipousteguys Arbeiten werden kontinuierlich vom Tod begleitet, der pathetisch und naiv zugleich als Schatten erscheint, wo die Symbole weichen. Zuerst verwirrt die daraus entstehende kubistische Brechung, dann aber wird man ihrer zentralen Funktion gewahr: Sie bildet die letzte Hülle des Körpers. Manchmal tritt allerdings zuviel Fleisch darunter hervor und zerstört die Bemühungen Ipousteguys, durch den Spalt zwischen Mensch und Doppel zu spähen.

(Bis 16.8., Budapester Straße 42-46, Di./Do.-So. 10-18 Uhr, Mi. 10-22 Uhr)

Erstaunlicherweise hat sich auch Yoko Ono die Wirklichkeit auf einer einfachen Abbildungsebene verfügbar gemacht. Endangered Species (bedrohte Tierart) rankt sich um die Erzählung vom Menschen, der die ökologischen und militärischen Katastrophen unserer Zeit nicht mehr überleben kann. Doch Ono sieht überall nichts als Hoffnung: »Es ist eben nicht mehr die Zeit, in der man sich auf einen einzelnen Helden verlassen kann, wir brauchen genauso viele Helden, wie es Weltbevölkerung gibt.« Das Kollektiv wird den einzelnen retten, Darwin verliert gegen Walt Disney. Zumindest versteht Ono es, geschickt Köder auszulegen, die den Glauben an das Gute im Menschen bekräftigen. »Mend« zeigt, im philosophischen Dreischritt jede Skepsis entwaffnend, wie man eine zerbrochene Vase wieder kleben kann. Doch die Bronzeplastik bleibt nur ein Paradigma. Ono stellt den positiven Strömungen der Wirklichkeit nach, ohne etwas anderes als ihre eigene Idee zu finden. Und die von John. »War is over, if you want it«, steht in einer Nische an die Wand geschrieben und ist mit John und Yoko unterzeichnet. Die Utopie der Heldenmasse verschwindet neben dem Namen des toten Beatle. Ono hätte es wissen müssen.

(Bis 13.9., in der Stiftung Starke, Koenigsallee 30-32, Di.-Fr. 10-18 Uhr)

Nicht Wand, nicht Boden, nur Kataloge: Das Künstlerinnenprojekt Goldrausch stellt ihre diesjährigen Strateginnen zur Selbstbehauptung als Buch vor: »Es überspringt die Organisationsform Ausstellung, um in Form von Publikationen die künstlerische Produktion direkt in den Informationsfluß einzubringen.« Doch die katalogisierte Präsentation holt den hohen Anspruch auf Kosten der Arbeiten rasch ein. Sie verlieren im Druckwerk enorm an Ausdruck. Von Désirée Baumeisters fragilen Papierschnitträumen bleibt nur ein flüchtiger Eindruck bestehen. Zum Glück steht ihre Kontaktadresse in der angehängten Vita. Andere Künstlerinnen können darauf verzichten. Katrin von Maltzahn hat den Katalog zu einem Spiel mit Literaturlisten und Verweisen genutzt, die sich zwischen Bekenntnis und Verweigerung bewegen. Aussagen bleiben im Kampf um den künstlerischen Stellenwert auf der Strecke. Andererseits merkt man eine gewisse Nachlässigkeit in der Konsequenz des Unternehmens. Mehrere Kataloge erzwingen sich keineswegs den Einstieg in das aktuelle Kunstgeschehen, sondern legen vielmehr bereits durchgeführte Ausstellungen nachträglich in der Form eines Readers zur Öffentlichkeitsarbeit ab. Promomaterial. »Der ausgeträumte Traum« von Bettina Hoffman war schon 1991 in den Räumen des Botschaft e.V. zu sehen. Nur Gisela Genther hat sich gemeinsam mit einem Text von Gabriele Gutzmann auf das Zusammenwirken von Bild und Schrift eingelassen. Die anderen Künstlerinnen sind vor einer Ausstellung ins Archiv ausgewichen.

(»Archiv«-Katalogschuber zu beziehen über Goldrausch Künstlerinnenprojekt e.V., Dirksenstraße 47, O-1020 Berlin)

Harald Fricke