KOMMENTAR
: Verfassungs-Widrigkeiten

■ Heute vor dem Bundesverfassungsgericht: Die einstweilige Anordung in Sachen § 218

Geschichte wiederholt sich. Schon 1974 eilte die Union nach Karlsruhe, um die damalige Fristenregelung zu Fall zu bringen. Per einstweiliger Anordnung trat das liberale Abtreibungsrecht gar nicht erst in Kraft. Jetzt liegen Karlsruhe gleich zwei Normenkontrollklagen gegen die verabschiedete Fristenregelung mit Beratungspflicht vor. Im heutigen Eilverfahren wollen die Antragsteller erneut mit einer einstweiligen Anordnung das Inkrafttreten des neuen Gesetzes verhindern.

Wäre alles so einfach wie 1974, es reichte aus, auf die ungezählten Embryos zu verweisen, die per Fristenregelung dem Willen der Schwangeren schutzlos ausgeliefert seien sollen. Denn die Antragsteller befürchten wieder einmal, daß mit der Fristenregelung ein „Abtreibungsschub“ bevorsteht. Aber im wiedervereinigten Deutschland liegen die Dinge etwas komplizierter. Schließlich gilt im Osten des Landes immer noch jene Fristenregelung ohne Beratungspflicht, deren westliches Pendant 1975 in Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt wurde.

Angesichts dieses Vereinigungsdilemmas empfehlen die Antragsteller etwas äußerst Spitzfindiges: Für die alten Bundesländer soll per einstweiliger Verfügung die Indikationsregelung weiter gelten. In den neuen Bundesländern darf es hingegen die Fristenregelung mit Beratungspflicht sein. Denn diese ist ein bißchen weniger verfassungswidrig als das geltende Recht.

Aber es geht noch weiter: Auch im Westen herrscht nach Ansicht Bayerns mit dem Indikationsmodell eine verkappte Fristenregelung, und deshalb zog der südliche Freistaat schon 1990 mit einer Klage gegen die soziale Indikation nach Karlsruhe. Im Vergleich zum verabschiedeten Gesetz der Fristenregelung mit Beratungspflicht scheint die soziale Indikation nun jedoch das kleinere Übel. Auch sie ist ein bißchen weniger verfassungswidrig als das neue Gesetz.

Darf es ein bißchen mehr, ein bißchen weniger Verfassungswidrigkeit sein? Im Staatsrecht der CDU/CSU scheint alles möglich. Doch gerade weil der Komperativ derzeit bei den Unionsstrategen Purzelbäume schlägt, bleibt Hoffnung. Denn wenn das neue Gesetz nicht schlecht genug ist, um in den neuen Bundesländern in Kraft zu treten, dann könnte es zu guter Letzt gut genug für die gesamte BRD sein. Damit würde das Verfassungsgericht auch dem Auftrag des Einigungsvertrags gerecht werden. Denn der spricht von einer gemeinsamen Rechtsgrundlage und nicht von erneuter Teilung. Karin Flothmann