Offener Machtkampf in Äthiopien

Verschärfter Konflikt zwischen Übergangsregierung und „Oromo-Befreiungsfront“/ Boykott-Aufruf  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) — Die größte politische Gruppierung in Äthiopien außerhalb der Regierung, die „Oromo-Befreiungsfront“ (OLF), hat zu einem internationalen Boykott Äthiopiens aufgerufen. OLF-Auslandsvertreter Taha Abdi sagte gegenüber der taz, die internationale Staatengemeinschaft solle die äthiopische Regierung „isolieren“. Es dürfe „keine wirtschaftliche oder finanzielle Unterstützung außer Nahrungsmittelhilfe“ nach Äthiopien gelangen.

Die OLF, die das größte Volk Äthiopiens vertritt, war Ende Juni aus der äthiopischen Übergangsregierung ausgetreten. Äthiopien wird seit dem Sturz des Diktators Mengistu im Sommer 1991 von einer Übergangsregierung unter Leitung der „Revolutionären Demokratischen Front des Äthiopischen Volkes“ (EPRDF) unter Staatspräsident Meles Zenawi regiert. Die Regierung war im wesentlichen eine Koalition zwischen der „Tigre-Volksbefreiungsfront“ (TPLF), aus der Meles Zenawi kommt, und der OLF.

Der Bruch erfolgte nach den ersten Wahlen in der äthiopischen Geschichte, die am 21. Juni stattfanden, aber nach Meinung auch ausländischer Wahlbeobachter keinesfalls demokratisch abliefen. Die deutsche Wahlbeobachtergruppe berichtete unter anderem, in der von Oromos bevölkerten Westprovinz Wollega seien OLF-Sympathisanten verhaftet und gefoltert worden, im Gefängnis der Stadt Nekemte säßen über 25 politische Gefangene.

Wenige Tage nach den Wahlen trat die OLF aus der Regierung aus, ihre Führung ging ins Ausland oder in die von ihr kontrollierten Gebiete. Seither, so Taha Abdi, hat Äthiopien „keine legitime Regierung“. Eine Delegation von Diplomaten aus den USA, Kanada, Großbritannien, Schweden, der UNO und der EG versuchte Mitte Juli, zwischen Regierung und OLF einen Dialog zustande zu bringen. An einem geheimen Ort im Südosten Äthiopiens traf sie OLF- Generalsekretär Galassa Dilbo und überbrachte anschließend Präsident Zenawi die OLF-Forderung nach einer Wiederaufnahme des Runden Tisches, der im Sommer 1991 zur Bildung der Übergangsregierung geführt hatte. Sollte Zenawi dieser Forderung nicht nachkommen, setzt die OLF nach eigenen Angaben auf den militärischen Sieg.

In den letzten Wochen haben bewaffnete Auseinandersetzungen bereits erheblich zugenommen. Die Ausrufung eines eigenen Oromo- Staates „Oromia“ im Südosten des Landes ist jedoch zur Zeit nicht vorgesehen: Vielmehr will die OLF, ähnlich wie es Meles Zenawis Tigre- Guerillatruppe zu Zeiten Mengistus Anfang 1991 tat, die Städte einkreisen. Offen diskutiert wird auch die Möglichkeit, in die Hauptstadt Addis Abeba einzumarschieren und die EPRDF militärisch zu stürzen.