: Mit Vollgas in die Energiezukunft
Brasilien setzt bei dem wachsenden Energiebedarf des Landes nun verstärkt auf Gas Schadstoffausstoß und Ölverbrauch sollen gedrosselt werden/Weltbank finanziert Pipeline nach Bolivien ■ Aus Rio Astrid Prange
Nicht mehr Wasserkraft allein soll in Zukunft die Energieversorgung des größten Landes Lateinamerikas gewährleisten. Brasiliens Regierung setzt auf die Antriebseffekte von Gas — und zwar sowohl aus natürlichen als auch aus biologischen Quellen. Der Anteil der durchsichtigen Materie am brasilianischen Energiehaushalt soll so langfristig von zwei auf zehn Prozent gesteigert werden.
Ab August werden in der Industriestadt Cubatao in der Raffinerie Presidente Bernardes (RPBC) täglich 500.000 Kubikmeter Naturgas in Dampf und elektrische Energie verwandelt. Die Kapazität der Anlage liegt bei 2,5 Millionen Kubikmeter pro Tag. Das Gas stammt aus der Bucht von Santos, Brasiliens größter Hafenstadt, die in unmittelbarer Nähe von Cubatao liegt. Brasiliens Mineralölkonzern Petrobras schätzt die Reserven in der Bucht auf 8,6 Milliarden Kubikmeter.
Der Einsatz von Naturgas anstelle von Öl wird die Luftverschmutzung von Cubatao beträchtlich verringern: „Der sinkende Ölverbrauch wird den Ausstoß von Schwefeldioxid um vier Tonnen täglich reduzieren“, prophezeit Ivan Vinhas Passos, Leiter der Raffinerie in Cubatao. Mit dem Bau der Naturgasanlage, die Investitionen in der Höhe von 36 Millionen Dollar erforderte, wurde vor zwei Jahren begonnen.
Horrender Energieverbrauch
Brasilien ist eines jener Länder, die weltweit den größten Energieverbrauch aufweisen. Er liegt pro Erwerbstätigen jährlich bei rund 820 Kilogramm Rohöleinheiten — das sind 34,4 Millionen Kilojoule. Doch um seinen wachsenden Energiebedarf zu decken, streckt die brasilianische Regierung ihre Fühler ebenfalls ins Nachbarland Bolivien aus. Spätestens in zwei Jahren sollen die beiden Länder durch eine Gaspipeline miteinander verbunden sein. Laut Vertragsentwurf zwischen dem staatlichen Mineralölkonzern Petrobras und dem bolivianischen Pendant YPFB liefert der Andenstaat für 250 Millionen Dollar im Jahr täglich acht Millionen Kubikmeter Naturgas nach Brasilien.
Die Kosten für die Pipeline, die unter anderem von der Weltbank (Bird) und der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) getragen werden, belaufen sich auf 1,8 Milliarden Dollar. Das Gas aus Bolivien und später auch Argentinien soll in das Industriedreieck der Städte Rio de Janeiro-Sao Paulo-Belo Horizonte fließen. Sein Einsatz in der Industrieproduktion und als Treibstoff für Busse soll den Verbrauch von Dieselöl reduzieren und somit zum Umweltschutz beitragen.
Das zweite von der Weltbank geförderte Projekt ist ein Elektrizitätswerk, das seine Energie aus Biogas gewinnt. Das mit 30 Millionen Dollar veranschlagte Vorhaben sieht die Entwicklung von Gasturbinen vor, die durch die Verbrennung von Sägemehl und Zuckerrohrresten angetrieben werden. Nach einer zweijährigen Forschungsphase, an der ausländische Firmen beteiligt sind, soll die 18-Megawatt-Station im brasilianischen Bundesstaat Bahia gebaut werden.
Schon jetzt steht jedoch fest, daß Biogas wegen seines geringen Heizwertes zur Zeit noch nicht wie Naturgas als Treibstoffersatz genutzt werden kann. „Dennoch hilft uns das Projekt, unser Alkoholprogramm rentabel zu machen“, erklärt Jose Paulo Silveira vom brasilianischen Sekretariat für Wissenschaft und Forschung. In Brasilien fährt die Hälfte der Autoflotte mit Treibstoff- Alkohol, der aus Zuckerrohr gewonnen wird.
Noch nutzt Brasilien die Überreste der zwölf Milliarden Liter Alkohol-Treibstoff, die es jährlich produziert, lediglich als Düngemittel. Würde die Bagasse fachgerecht verbrannt, verfügte das Land über ein Biogas-Potential von knapp drei Millionen Kubikmeter pro Tag. Die aus dem Gas gewonnene Energie könnte ins allgemeine Netz eingespeist werden und somit das hochsubventionierte Alkoholprogramm zu einer echten Alternative gegenüber der Einfuhr von Erdöl werden lassen. „Brasilien setzt auf Gas, um den wachsenden Energiebedarf der kommenden Jahre befriedigen zu können“, bestätigt Silveira.
Ein Grund für die Suche nach alternativen Energiequellen ist das Trauma, das die Finanzierung von gigantischen Wasserkraftwerken in der Vergangenheit verursacht hat: 40 Prozent der brasilianischen Auslandsschuld (sie belaufen sich derzeit auf rund 120 Milliarden Dollar) gehen auf das Konto kredithungriger brasilianischer Elektrizitätsunternehmen, von der massiven Zerstörung der Regenwälder einmal ganz abgesehen.
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