Vorwurf der Rechtsbeugung bestritten

■ Richter aus der Ex-DDR vor Gericht: Sie sollen wider besseres Wissen eine Kündigung gutgeheißen haben

Berlin (taz/dpa) — Vor dem Berliner Landgericht müssen sich seit gestern erstmals zwei ehemalige DDR- Richter wegen Rechtsbeugung verantworten.

Angeklagt sind die 29jährige Ex- Richterin am Stadbezirksgericht Mitte, Kerstin G. und der 63jährige ehemalige Vorsitzende Richter des Senats für Arbeitsrecht beim Stadtgericht Berlin, Wolfgang R. Der Prozeß sollte ursprünglich schon vor drei Wochen beginnen, war aber wegen eines Krankenhausaufenthalts des an Herzproblemen leidenden 63jährigen vertagt worden. Der Prozeß ist nach Angaben eines Berliner Justizsprechers eher »untypisch« für die Mehrzahl der rund 3.200 Ermittlungsverfahren gegen ehemalige DDR-Richter und Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung.

Die Staatsanwaltschaft legt der 29jährigen Kerstin G. zur Last, im Oktober 1989 die Klage eines leitenden Mitarbeiters des DDR-Gewerkschaftsbundes (FDGB) gegen dessen Kündigung abgewiesen zu haben. Der FDGB-Mitarbeiter war damals aus der SED ausgeschlossen worden, weil er nicht in eine Betriebskampfgruppe eintreten wollte. Nach dem Parteiausschluß wurde er vom FDGB wegen „Nichteignung“ für seine Vertrauensposition gekündigt. Der jetzt mitangeklagte 63jährige Oberrichter für Arbeitsrecht Wolfgang R. soll seine junge Kollegin damals zur Zurückweisung der Klage aus politischen Gründen „angestiftet“ haben.

Die Anklageerhebung fiel der Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu den übrigen Rechtsbeugungsverfahren so leicht, weil in den Akten des Arbeitsgerichtsprozesses ein Vermerk von Kerstin G. gefunden wurde. Darin soll Kerstin G. erklärt haben, daß sie gegenüber dem Oberrichter Wolfgang R. Bedenken gegen eine politische Kündigung formuliert habe.

Sie habe sich jedoch »gezwungen gesehen«, die Entscheidung zu treffen, obwohl diese keineswegs mit ihrer Rechtsauffassung konform gehe, soll es in dem Vermerk weiter heißen.

Beide Angeklagten bestritten die Vorwürfe gestern vehement. Wolfgang R. betonte, er habe seiner im Arbeitsrecht unerfahrenen jüngeren Kollegin lediglich in Gesprächen eine „Hilfestellung zur Beurteilung der Rechtslage“ gegeben. Er habe sich dabei auf „unstrittige Rechtsgrundsätze“ der ehemaligen DDR bezogen.

Kerstin G. sagte, sie habe sich der Argumentation des Oberrichters angeschlossen und die Kündigung nach dem Parteiausschluß für richtig gehalten, weil eine Schädigung der Gewerkschaft durch das Verhalten des Mannes zu befürchten gewesen sei. Erst nach der Wende seien ihr Zweifel gekommen und sie habe einen „rückdatierten“ Vermerk zu den Akten gelegt. Der Vermerk entspreche somit „nicht der Wahrheit“. Das mag „moralisch vorwerfbar“ sein, sagte die junge Frau, die heute bei der IG-Metall in Brandenburg als Jurstin tätig ist. Zweifel und Skrupel seien bei ihr aber erst aufgetaucht, nachdem alles, was in der früheren DDR als richtig gegolten habe, auf den Kopf gestellt worden sei. Der Prozeß wird heute mit der Vernehmung des gekündigten Gewerkschaftsmitgliedes fortgesetzt plu