Oh schaurig ist's, übers Moor zu gehn

■ „Wunde(r) Punkte im Teufelsmoor“: 2-Tage-Spektakel mit Kunst und Kuchen zugunsten einer geschundenen Landschaft

Heini Linkshänder, Statthalter von Joseph Beuys in Worpswede

„Oh schaurig ist's, übers Moor zu gehn...“(Droste-Hülshoff) — „Es war eine Landschaft, in der Erhabenheit und Schönheit mit dem Grauen einer trostlosen Öde dicht nebeneinander wohnten.“ (Overbeck). Das Moor als lebensfeindliches Gebiet, artenarm, gefährlich, Rückzugsgebiet zahlreicher Krankheiten und Geister. Unland, zu kultivieren, trockenzulegen.

Seit Menschengedenken ist das nasse, arme Moor ein Ärgernis, in dem Sträflinge zu arbeiten hatten, wo KZ's angelegt wurden. In neuerer Zeit wird hier industriell abgetorft, die Landwirte folgen mit intensiver Düngung.

Das Teufelsmoor nördlich von Bremen, mit seinen 3.700 ha Überschwemmungsfläche eines der bundesweit wichtigsten Feuchtgebiete, wird zudem —

Portrait:

Mann

man denke an Worpswede — intensiv touristisch genutzt. „Worpswede“ steht aber auch für einen anderen Blick aufs Moor: einen schwärmerischen, romantisierenden, ästhetischen Blick. Das spezifische Licht des Moores und die mythendurchtränkte Geschichte zogen (und ziehen) KünstlerInnen aus aller Welt an.

Ein Zusammenschluß engagierter Moorschützer (s. Kasten) nutzt jetzt auch die Möglichkeiten der Künste, sich den „Lebensraum Teufelsmoor“ jenseits politisch-ökologischer Einsichten zu erschließen. „Wunde(r) Punkte im Teufelsmoor“, das heißt: zwei Wochen lang arbeiten junge Leute aus mehreren europäischen Ländern im und ums Moor, malen, bauen Objekte, komponieren „Moor-Musik“, spielen Theater mit und ohne Masken. Den mei

sten TelnehmerInnen zwischen 16 und 30 ist gemein: Sie haben kaum künstlerischen Hintergrund. Die Ateliers liegen in der „Jugendbildungsstätte Bredbeck“ am Moorrand bei Hambergen. Das Projekt „Wunde(r) Punkte“ zielt von vornherein auf Öffentlichkeit: am Freitag und Samstag sind Interessierte zu einer Moorbegehung der besonderen Art eingeladen, bei der ihnen Augen und Ohren geöffnet werden.

Heini Linkshänder, Statthalter von Joseph Beuys in Worpswede, weiß um die Gefährdung des Teufelsmoors: „Im Frühling kommen die Touristen und jeder bricht sich einen Weidenkätzchen-Ast ab. Schon ist der Busch weg.“ „Linkshänder“ als Lehrer in Bredbeck läßt seine meist italienischen SchülerInnen mit „objets trouvees“, Fundstücken aus dem Moor, winzige Installationen bauen, in die Deckel von Schuhkartons. Das ganze Projekt ist in „Workshops“ organisiert, die jeweils von Fachleuten geleitet werden. Linkshänder hat an einer Bremer Häuserwand das Motto gefunden: „Wenn ein Mensch auf die Welt kommt, wird Sehnsucht geboren.“ An eine Atelierwand gelehnt: eine gekreuzigte Ratte.

Frank Bobran („Ich decke in Bredbeck die Theaterpädagogik ab“) ist „den Mythen des Teufelsmoores auf der Spur“. Seine Gruppe hat im Moor geschlafen und Themen wie „Tod, Untergang, Unglück, Geburt, Wachsen und Absterben“ mitgebracht. Damit wird jetzt improvisiert, „Stehende Bilder“ verbinden sich zu einer Inszenierung für genau einen Ort im Moor. Die Hälfte der TheaterspielerInnen sind „absolute Anfänger“, das Thema allerdings scheint ungemein zu engagieren. 10 Jugendliche krauchen und rutschen durch den Raum, jeder hat „seinen Film“. In einem undurchschaubaren Gewusel entsteht ein Sog: Alle Hände wachsen zusammen zu einem emporstrebenden Gewächs. Natürlich: Nichts bleibt.

Kollege Hans König vom „Theatre du pain“ ist einem abstrakteren Spiel verpflichtet. Das Thema seines „Aktionstheaters“: Der Mensch mit seiner Logik unterm Arm in der Natur, deplaziert. Er will die Moorbegeher am Wochenende mit seinen Leuten begleiten und irritieren mit abstrusen Versuchen der Ordnung und Systematik.

Sirren, Wummern, lockende Rhythmen: aus dem Musiklabor dringt „Moormusik“. Hier wird gerade eine „Konserve“ hergestellt. In einem völlig dunklen Zelt im Moor wird die SpaziergängerIn mit den Klängen des Moors konfrontiert werden. Mit verbundenen Augen hatten sich die MusikerInnen (Leitung: Michael Carlberg) an einen Tümpel gesetzt und gelauscht. Grillen, Wind, Blätter, Vögel: der eine Kanal. Der andere: Flugzeuge, Trecker, Torfmaschinen. Die „Balance Mitte“ muß jedeR für sich finden...

Und es werden springen durchs Moor seltsame Wesen mit wurzeligen Nasen und knotigem Kinn und rindiger Stirn und werden vielleicht Hugo heißen und „ein bißchen dumm sein“, oder feine Hexen sein oder Baumgeister und werden Leute erschrecken oder rühren oder ins Träumen versetzen. Die Großkopfmasken sind (Leitung: Renate Büge) schon fertig, die „Geschichte“ wächst noch. Und es wird ein Spektakel sein im Teufelsmoor am Wochenende, daß der wahre Naturschützer sich voll Gram an den Kopf faßt, die Bekassine sich die Augen reibt und der Sonnentau sich an einer Fliege verschluckt. Und wenn es hundert Menschen sind, die über das Erlebnis ihre affektive Beziehung zum sensiblen Lebensraum zwischen Gnarrenburg und Ottersberg vertieft haben, dann ist schon was erreicht. Auch wenn das umfassende „Schutzkonzept für die Teufelsmoor- Wümme-Niederung“ noch fern ist. Burkhard Straßmann

Die „Wunder(r) Punkte kulturelle Entdeckungsreise im Teufelsmoor“ findet am Freitag, 7.8., um 18 Uhr und am Samstag 8.8., um 15 Uhr statt. Treffpunkt: „Moorkate“ in Hambergen-Ströhe, von Bremen aus B 74 an OHZ-Scharmbeck vorbei, in Ströhe rechts, ausgeschildert. Eintritt frei, Kaffee und Kuchen zum Selbstkostenpreis.