»Hey, wo ist das Stück Kohle?«

■ Eine Berlinerin flüchtete mit einem 13jährigen schwarzen Jungen panikartig vor rassistischer Anmache auf einem Campingplatz an der mecklenburgischen Ostseeküste

Berlin/Wismar. Fröhliche Ferien an der Ostseeküste! So manche/r BerlinerIn, der doch zumindest an eine mittelmäßige Weltoffenheit in dieser Stadt gewöhnt ist, erlebt dort in diesen Wochen sein oder ihr blaues respektive schwarzes Wunder. Ingrid N. zum Beispiel hat das dort anscheinend Unmögliche gewagt, mit einem 13jährigen Kind schwarzer Hautfarbe auf einen Campingplatz zwischen Wismar und Boltenhagen zu ziehen. Nicht genug, daß gegenüber ihrem Zelt ein sächsisches Ehepaar allmorgendlich wie selbstverständlich zum Frühstück die Reichskriegsflagge hißte und Sohnemann die Eltern bei Brötchen und Kaffee mit »Heil« begrüßte, auch nicht genug, daß glatzköpfige Jugendliche gemeinsam mit »ganz normalen Kids« die ganze Nacht Deutschlandlieder grölten, mit wachsender Begeisterung »Ausländer raus!« skandierten und den kleinen Charles als »Schornsteinfeger« titulierten«: Eines Nachts — Ingrid N., ihre beiden mitgereisten Freundinnen sowie insgesamt sechs Kinder lagen in den Zelten — seien 20 Leute mit quietschenden Reifen vorgefahren und aus sechs Autos gesprungen, erzählt Ingrid N. »Hey, wo ist das Stück Kohle?« habe einer gegrölt, während andere mit Tennisschlägern um die Zelte geschlichen seien. »Mir ist himmelangst geworden. Irgendwann sind sie dann wieder abgezogen.« Abwechselnd hätten sie daraufhin die ganze Nacht vor ihren Zelten Wache gehalten, um das Leben eines 13jährigen Jungen mit schwarzer Hautfarbe in seinen Sommerferien zu retten.

Die ansässige Polizei, mehrfach herbeigerufen und immer erst nach Stunden sporadisch erschienen, hätte ihnen schließlich mitgeteilt, daß sie »jetzt sowieso nur noch kommen, wenn wirklich was passiert ist«. Und, an die Mütter gerichtet: »Warum machen sie auch ohne Männer Urlaub?« Die Besitzer anliegender Pensionen und Jugendherbergen hätten leider auch keinen Platz gehabt, um ihnen das Leben auf dem Zeltplatz zu ersparen. »Wenn Sie hier wohnen, ziehen Sie die Skins doch nur hinterher, dann haben wir sie auf dem Hals«, habe es geheißen, als die Gruppe spätabends völlig verzweifelt vor der Tür stand. Anscheinend wisse jeder weit und breit Bescheid über den offenen Rassismus von Jugendlichen an dem Küstenstück zwischen Wismar und Boltenhagen, erzählt Ingrid N. Kümmern würde sich darum allerdings niemand. »Die Skins fühlen sich dort sauwohl und sicher. Aber es geht doch nicht an, daß Ausländer kein Recht haben, an der Ostsee Urlaub zu machen.« Anscheinend doch. Ingrid N. und ihre Freunde haben jedenfalls mitsamt dem völlig verunsicherten Charles den Campingplatz panikartig vorzeitig verlassen und sind nach Berlin zurückgekehrt. »Und wir fahren da bestimmt nicht wieder hin.« jgo