Bärentöter und Bibliothekar

Balduin Möllhausen verfaßte Wildwest-Romane. Über die Biographie des Vorläufers von Karl May  ■ Von Stephan Schurr

Er unterhält, er spannt, er befriedigt“, mit diesen knappen Worten beurteilte Theodor Fontane einen Schriftsteller, der es nie nötig gehabt hatte, den Bärentöter beim Trödler zu kaufen, um als Abenteurer im heimeligen Wigwam an den Elbufern Eindruck zu machen. Balduin Möllhausens Fransenjacke, der von Schüssen durchlöcherte Trapperhut — sie waren echt, und nicht nur einmal hatte ihm seine Flinte das Leben gerettet. Zeitgenossen nannten ihn den „deutschen Cooper“, und nur wenige kannten den Westen Nordamerikas so gut wie er. Mit fast vierzig Romanen, die von 1861 bis zu seinem Tod im Jahr 1905 erschienen, gehörte er zu den bekanntesten und am besten bezahlten Autoren des vorigen Jahrhunderts. Doch heute ist Möllhausen vergessen, seine „Schwart'n“, wie Arno Schmidt schnoddrig formulierte, sind aus den Regalen der Buchhandlungen verschwunden. Aus dem einstmals gefeierten und vielgelesenen Romanschreiber ist ein nur noch in Passagen gedruckter und in Sammelbänden vergrabener Jugendbuchautor geworden.

Andreas Graf, Germanist und Lektor in Köln, hat als Doktorarbeit eine zwar manchmal etwas akademisch schwerfällige, aber insgesamt gut lesbare, detailreiche und spannende Biographie des „Erzählers pur sang“ (Fontane) verfaßt. „Das Leben ist ein Roman“ — vielleicht ist es eine Schwäche des Buches von Graf, daß man beim Lesen diesem (und nicht nur diesem) Klischee Glauben schenken will. Als Sohn eines Offiziers, der die Familie bald verläßt, und einer Baronin wird Balduin Möllhausen 1825 in Bonn geboren. Nach dem frühen Tod der Mutter wird der Waisenjunge auf das Gut seines Onkels nach Pommern geschickt, um dort — trotz seiner Neigung zur Malerei — die Landwirtschaft zu erlernen. Kaum hat er den Militärdienst absolviert, entschließt er sich zur Auswanderung nach Amerika. 1850 erreicht er New York und zieht, mit dem Skizzenbuch im Gepäck, Richtung St. Louis. Dort begegnet er Paul von Württemberg, einem seines Lebenswandels wegen vom Hofe verstoßenen Forschungsreisenden und Naturkundler. Möllhausen wird das Faktotum des Herzogs und begleitet diesen auf einer gefahrvollen Expedition jenseits der frontier in Gebiete, die dem Wilden Westen den Namen gaben. Indianer, Präriebrände, Krankheiten und ein Schneesturm bedrohen das Leben der beiden. Als das letzte Pferd stirbt, verläßt der Herzog den ihm treu ergebenen Möllhausen und nimmt die Postkutsche. „Den Aufenthalt am Sandy Hill Creek nenne ich die schrecklichste Zeit meines Lebens“, schreibt der auf die Rückkehr seines Herrn vergebens Hoffende in einem Überlebensbericht, den Graf zu den eindrucksvollsten der deutschen Literatur zählt.

Sechs Wochen dauert es, bis Indianer den Halbverhungerten zufällig entdecken und ihn retten. Während des Aufenthalts im Hüttendorf kommt es zu einer Romanze mit der Halbindianerin Amalie Papin. In seinem ersten Reisebuch setzte ihr Möllhausen ein literarisches Denkmal. Zum Nutzen seines Nachfolgers Karl May: Amalie wurde zum Vorbild für Winnetous Schwester Nschotschi. Monate nach der Liebschaft mit der Vierzehnjährigen befindet sich Möllhausen an Bord eines Schiffes, das Grizzlybären von St. Louis nach Berlin transportiert. Seine Skizzen und Reiseberichte wecken auch das Interesse H.M. Lichtensteins, des Gründers des Berliner Zoos. Über ihn lernt Möllhausen auch Alexander von Humboldt kennen, dessen leibliche Tochter — offiziell ist sie die Tochter des Kammerdieners Seifert — er 1855 heiratet. Zwei kürzere Amerikareisen unternimmt Möllhausen noch, dann findet der aufregende Teil seines Lebens ein Ende. Über dreißig Jahre lang fristet der Amerikafahrer ein Dasein als Königlicher Bibliotheksverwalter in Potsdam, ein loyaler preußischer Untertan, der sich seine Erlebnisse phantasiereich und lukrativ von der Seele schreibt. Zahlreiche Erzählungen für Zeitschriften, zum Beispiel die Gartenlaube, und für Volkskalender entstehen. Die zumeist mehrbändigen Romane werden hauptsächlich durch Leihbüchereien verbreitet und in allen Bevölkerungsschichten gelesen. Mit vielen Ehrungen bedacht stirbt der „alte Trapper“ mit dem langen weißen Bart 1905 in Berlin-Charlottenburg. Möllhausens Schmöker, von ihm selbst auf 154 Bände beziffert, wurden von der Kritik in den 70ern des letzten Jahrhunderts hymnisch gelobt, später warf man dem Autor die Ignoranz gegenüber sozialen Zeitproblemen vor. Auch gerieten die selbst für Ethnographen heute noch wertvollen Romane, deren Handlung stets in Europa anfängt und in Amerika aufhört, zusehends außer Mode. Detektivromane verdrängten die Möllhausen- Literatur. Die besten Teile daraus warten auf die Wiederveröffentlichung. Grafs Biographie ist trotz langer Zitate und einiger Originalbriefe im Anhang letztendlich nur ein Appetitanreger. Der Lesehunger nach den Büchern jenes Mannes, der die „wilde Musik“ der Wölfe am Sandy Hill Creek nächte- und tagelang vernommen hat, bleibt ungestillt. Und Arno-Schmidt-Anhänger leiden darunter besonders.

Andreas Graf: „Der Tod der Wölfe. Das abenteuerliche und das bürgerliche Leben des Romanschriftstellers und Amerikareisenden Balduin Möllhausen (1825-1905)“. Duncker & Humblot, 1991, 423 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 58DM.