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Entlastungszeugen unter Stasi-Verdacht

Sechs der acht kirchlichen Mitstreiter, die den Brandenburger Ministerpräsidenten Manfred Stolpe von dem Vorwurf der Stasi-Zuarbeit entlasten sollten, wurden selbst als Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit geführt  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Keiner hat mit den Mitarbeitern der Staatssicherheit reden müssen. Klaus Roßberg, früherer Stasi-Offizier und mit der „Bearbeitung“ der Kirchen in der DDR bestens vertraut, hatte bei seiner Aussage einen besonders im Visier: den früheren Thüringer Bischof Ingo Braecklein. „Peinlich“ nennt der Mittfünfziger, der seit dem Mauerbau in der zentralen Kirchenabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit arbeitete, daß sich seine früheren Gesprächspartner aus den Kirchen heute als „Helden und Widerstandskämpfer“ darstellen. Das seien sie keinesfalls gewesen. Der Kirchenmann Braecklein habe sich beipielsweise „manchmal stundenlang mit mir bei Kaffee und Kuchen“ unterhalten. Man sei sich auch „menschlich näher“ gekommen. Es sei auch nicht richtig, daß sich die Kirchenvertreter nur in den Fällen mit Stasi-Mitarbeitern getroffen hätten, in denen es darum ging, Menschen aus den Gefängnissen der DDR zu holen.

Der Thüringer Altbischoff Ingo Braecklein wurde von der Kirchenabteilung als Inoffizieller Mitabeiter mit Feindkontakt, als „IMB“ mit dem Decknamen „Ingo“ geführt. Seine Stasi-Akten wurden auf Befehl des Stasi-Obersten Joachim Wiegand am 4.Dezember 1989, wenige Wochen nach der Wende, bereinigt. Bischof Braecklein gehört zu den Kirchenmännern, die Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe Anfang Mai als seine Entlastungszeugen präsentierte — als „Mitwisser bei der kirchlichen Gegenkonspiration“. Seit Anfang des Jahres wehrt sich Stolpe gegen den Vorwurf, er habe unter dem Decknamen „IM Sekretär“ wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet.

Stolpes Mitstreiter sind nach jüngsten Berichten des Spiegel, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und des Fernsehmagazins „Kontraste“ mehrheitlich selbst als Inoffzielle Mitarbeiter im Spitzelministerium geführt worden. Sechs der acht Kirchenmänner sollen engen Kontakt zu Mielkes Ministerium unterhalten haben. Die Unterlagen der Staatssicherheit weisen den langjährigen Pressesprecher des DDR-Kirchenbundes Rolf-Dieter Günther als „IM Wilhelm“ und den Greifswalder Oberkonsistorialrat und Stolpe-Gewährsmann Siegfried Plath als „IM Hiller“ mit der Registriernummer „I/4844/60“ aus. Tief im Stasi- Sumpf scheint auch der Konsistorialpräsident der vorpommerschen Landeskirche, Hans-Martin Harder zu stecken. Seine Stasiakte wurde unter der Registriernummer „I/1588/88“ und unter dem Decknamen „Dr. Winzer“ angelegt. Unter dem Pseudonym „Hirte“ findet sich in den Unterlagen der Gauck-Behörde auch der frühere Leiter des Sekretariats des DDR-Kirchenbundes, Martin Ziegler, als “IM-Vorlauf“. Der Cottbuser Generalsuperintendent Reinhard Richter wurde den Stasi- Unterlagen zufolge als „IM Roland“ registriert.

Nur zwei Gefährten Stolpes stehen außer Verdacht, den Stasi-Spitzeln Kircheninternas geliefert und im Auftrag der Stasi Einfluß auf die Kirchenpolitik genommen zu haben. Werner Braune, Direktor der kirchlichen Stephanus-Stiftung in Berlin- Weißensee, war als einziger weder als „IM“ noch als „IM-Vorlauf“ erfaßt. Über den Superintendenten von Berlin-Mitte, Martin Michael Passauer, gibt es zwar eine Akte mit dem Decknamen „Tasso“. In ihr ist aber auch dokumentiert, daß sie kurz nach ihrer Anlegung wegen Passauers „Ablehnung der weiteren Zusammenarbeit“ wieder geschlossen wurde.

Der Konsistorialpräsident Harder hat — wie die anderen Stolpe-Gefährten — die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen. Wegen Falschaussage ist er zusammen mit Oberkonsistorialrat Siegfried Plath von der CDU-Fraktion im Brandenburger Stolpe-Untersuchungsausschuß angezeigt worden. Harder spricht von einem „Mißbrauch des Strafrechts“; wie Stolpe erklärt er, „fast ausschließlich“ in humanitären Fällen mit der Staatssicherheit verhandelt zu haben. „Die Stasi-Akten sind das eine, was wir selbst gewollt und getan haben das andere“, sagte er am Montag in Greifswald. Der Versuch, den Inhalt der Stasi-Unterlagen in Zweifel zu ziehen, entspricht ebenfalls der Verteidigungsstratgie des Ministerpräsidenten. Harders eigene Wahrnehmung: „Ich habe mit Erfolg gegen die Stasi gearbeitet.“ Wie Stolpe will auch Harder erst im Frühjahr von seinem einstigen Gesprächspartner erfahren haben, daß er als IM geführt wurde. Eine Aussage auf die sich der Stolpe- Freund Siegfried Plath kaum berufen kann. Ausweislich der Akten muß dieser seinen Decknamen gekannt haben: „Hiller“ war das Code-Wort, das der IM bei Telefonaten mit der Stasi benutzen sollte.

Auch der langjährige Kirchensprecher Rolf-Dieter Günther lehnt das Etikett „IM“ für seine Stasi-Kontakte ab. Für ihn war entscheidend, wie er am Montag abend im Fernsehen sagte, daß sein Gesprächspartner „im Staatsapparat mit Kirchenfragen“ befaßt war, also etwas bewegen konnte. Die konspirativen Gespräche hätten in erster Linie der „gegenseitigen Einschätzung“ gedient. Doch jetzt neigt Günther auch schon mal zur Selbstkritik: „Daß du dich eingelassen hast mit diesem Staat und seinem Informationswesen, mußt du heute als Irrtum sehen.“ Das unterscheidet ihn vom Organisator der „kirchlichen Gegenkonspiration“ Manfred Stolpe.

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