Kleinkrieg um die weiße Zauberbox

■ Mit ihrer ersten gezielten Produktkampagne will die Umweltorganisation Greenpeace auf die drohende Schließung eines ostdeutschen Unternehmens aufmerksam machen, das einen völlig FCKW-freien Kühlschrank...

Kleinkrieg um die weiße Zauberbox Mit ihrer ersten gezielten Produktkampagne will die Umweltorganisation Greenpeace auf die drohende Schließung eines ostdeutschen Unternehmens aufmerksam machen, das einen völlig FCKW-freien Kühlschrank entwickelt hat. Weil die ersten Ökoschränke frühestens ab März 1993 geliefert werden können, sollen Vorabbestellungen der Treuhand signalisieren, daß das neue Produkt Marktchancen hat.

Die weiße Zauberbox: Das lauwarme Bier wandert nach dem Einkauf abends um sechs in die Kiste, und zweieinhalb Stunden später — nach der Tagesschau — wird es wohltuend kühl wieder entnommen. Friedlicher Zeitvertreib. Das Zaubergerät heißt Kühlschrank, und um dieses kalte Möbel ist jetzt ein heißer Konflikt entstanden. War bisher immer nur wichtig, daß er schnurrt und kühlt, geht es jetzt um seine Innereien und um Arbeitsplätze, um Ostler gegen Westler, Treuhand gegen Ossis, Greenpeace gegen Treuhand. Die Fronten werden immer unübersichtlicher.

Objekt der Begierde und des Hasses ist der ökologische Kühlschrank der dkk Scharfenstein. Die Ostfirma, gerade von der Treuhand liquidiert, hatte mit dem Mut der Verzweiflung in den vergangenen Monaten eine Zauberkiste entwickelt, die weder die Ozonschicht schädigt, noch mit ihrem Kühlmittel massiv zum Treibhaus beiträgt. Schon im März 1993 soll der neue KT135R in Serie produziert werden, berichtet Produktionsleiter Matthias Brandt stolz. Rückendeckung hatten die Ostdeutschen, die in diesem Jahr rund 200.000 Kühlschränke verkaufen wollen und damit zweistellige Millionenverluste einfahren werden, dabei einzig von Greenpeace erfahren. Die Hamburger Umweltkämpfer setzen angesichts der verkrusteten und vermachteten deutschen Hausgeräteindustrie auf den verzweifelten Neuling, der damit ein ökologisches Wagnis eingeht.

Zweieinhalb Millionen Haushaltskältegeräte bauten die deutschen Kühlschrankhersteller 1990, davon knapp die Hälfte für den Export. Bosch-Siemens, AEG, Liebherr, Bauknecht und einige ausländische Fabrikate teilen sich den Markt. Der größte in Deutschland ist eindeutig die Bosch-Siemens GmbH. Die gemeinsame Tochter der beiden Multis stellt im Jahr in Deutschland und Spanien 2,3 Millionen weiße Kisten her und ist mit 1,4 Milliarden Mark Umsatz in dem Bereich zehnmal so groß wie dkk Scharfenstein.

Auch deshalb hatte die Treuhandanstalt, als Holding für die Ostdeutschen verantwortlich, den Münchner Branchenersten als Idealpartner für dkk Scharfenstein ausgeguckt. Doch Bosch-Siemens wollte nicht in den mit 1.800 Mitarbeitern größten Betrieb in Sachsen einsteigen. „Als die uns absagten, sind wir aus allen Wolken gefallen!“ bekennt Franz Wauschkuhn, Pressesprecher der Holding. Kein Wunder: Die Angebote, die die Treuhand den Küchengerätefabrikanten bei den Verhandlungen gemacht habe, seien „großzügig“ gewesen. So wollte die Behörde beispielsweise rund 200 Millionen Mark Verlustausgleich für mehrere Jahre vorstrecken. Nachdem Siemens-Bosch noch im Herbst'91 großes Interesse an dem sächsischen Betrieb gezeigt habe, erklärte das Unternehmen im Juni den Ausstieg aus den Verhandlungen. Da half auch ein Bettelbrief von Bundeskanzler Helmut Kohl nicht mehr. Offizielle Begründung gestern in München: Man habe nur die Kühlschrankherstellung kaufen wollen, da seien mit dkk Scharfenstein schon Teilelieferungen und ein Know-how-Transfer vereinbart gewesen.

Branchenkenner vermuten auch anderes. Grund für den Absprung von Bosch-Siemens sei offenbar die Angst des Unternehmens, sich mit der Produktion eines Ökokühlschranks eine Konkurrenz ins eigene Nest zu setzen. Der Industrie werde es in der Öffentlichkeit schwerfallen, zu erklären, warum ein FCKW- freier Kühlschrank das FKW 134a enthalten muß — zumindest, solange es Konkurrenz ganz ohne gebe.

Im badischen Gingen ist Bosch- Siemens dabei, seine Fertigung um genau jene 200.000 bis 300.000 FKW-134a-Kühlschränke zu erweitern, die dkk Scharfenstein als ökologische Kühlschränke ohne alles in den enger werdenden Markt drücken will. In München sagte der Sprecher, in Gingen erfolgten Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe.

Ohne den großen Freund in München ist die Abwicklung der dkk Scharfenstein, so seltsam das klingen mag, möglicherweise die einzige Chance des Unternehmens. Würde ein Konkurs angemeldet, gingen alle Produktionsanlagen verloren, der juristische Terminus „in Liquidation“ gibt dem Referat Abwicklung der Treuhand dagegen Bewegungsspielraum. Das Treuhand-Management kapriziert sich jetzt offenbar darauf, mindestens die 640 Arbeitsplätze, die an den Ökokühlschrank gebunden wären, zu erhalten.

Neben diesem Produkt stellt das Unternehmen auch Kühlaggregate her, die nach Rußland exportiert werden. Da die Russen erhebliche Zahlungsschwierigkeiten haben, schreibt der Betrieb hier die größten Verluste. Wauschkuhn gibt sich „ganz optimistisch, daß wir einen mittelständischen Investor finden“. Denn: „Ökokühlschrank — das klingt doch gut!“ Zunächst sollen neutrale Gutachter aus dem Umweltbundesamt die Tauglichkeit des Ökokühlschranks überprüfen. Außerdem hat die Holding Marketing-Expertisen in Auftrag gegeben. Am 18.August soll dann der von der Treuhand eingesetzte Liquidator Wilhelm Scharf seine Vorschläge unterbreiten, wie es mit dem Unternehmen weitergehen soll. Ludwig Tränkner, Chefabwickler der Treuhand: „Natürlich befürworten wir die Produktion umweltfreundlicher Kühlschränke. Aber bevor wir da Millionen ausgeben, müssen wir von neutralen Gutachtern prüfen lassen, ob das Produkt was taugt!“

Tränkner, gelernter Journalist und PR-Fachmann, weiß nur zu gut, daß ein im Osten produzierter Ökokühlschrank ein echter Renner werden könnte. Bereits am vergangenen Freitag hat sich der Manager mit Greenpeace-Mitarbeitern getroffen, um über den FCKW-freien Eisschrank zu parlieren. Über die Ergebnisse des Gesprächs vereinbarten beide Seiten Stillschweigen. Soviel aber wurde ruchbar: In der Treuhand wäre man entzückt darüber, wenn die Ökorächer aus Hamburg als Gesellschafter bei der dkk Scharfenstein einsteigen würden. „Vielleicht trauen die sich das ja!“ meint ein Treuhand-Mitarbeiter. „Ich fände es jedenfalls gut, wenn die nicht nur motzen, sondern auch aktiv werden würden.“ H.-J. Tenhagen/CC Malzahn