Warum starb Roste-Werner?

■ Schwierige Wahrheitsfindung im Prozeß zum Stadtstreicher-Mord

Am frühen Morgen des 19.11.91 war Roste-Werner tot. Der 45jährige Stadtstreicher lag mit mehreren Messerstichen in der Brust an seinem Lieblingsplatz: auf dem Gitterrost vor Mc Donald's am Breitenweg. Zwei Tage später meldete sich bei der Hannoveraner Polizei der 33jährige Meinhard J. und erleichterte sein Gewissen: Er habe in der Nacht zum 19. auf einen Stadtstreicher eingestochen. Ohne die Gewißheit, was aus dem Mann geworden sei, könne er nicht weiterleben.

Meinhard J. saß gestern zu Prozessbeginn im altehrwürdigen Bremer Landgericht und konnte sich kaum noch an etwas erinnern. Ja, er habe auf den Mann eingestochen, drei, viermal mit seinem Butterfly-Messer. Aber warum er das getan habe, „ich weiß nicht wieso, da muß irgendwas vorgefallen sein.“ Meinhard J. war neu im Bremer Millieu, sein späteres Opfer hat er kaum gekannt.

Das achte von zehn Kindern eines Gelsenkirchener Bergmanns geht mit 14 von der Sonderschule ohne Abschluß ab. „Zu faul“ sei er gewesen, sagt er, und irgendwie gehemmt. Im Pütt wurde er als Bergmann angelernt, aber schon bald war es damit vorbei. Meinhard J. rutschte auf den Rand der Gesellschaft zu. „Wegen Bummelei und Alkoholkonsum“ habe man ihn gefeuert. Mit 13 hat er angefangen zu trinken. „Ich war da nicht mehr so gehemmt, ich konnte freier reden“, sagt er. Mit 17 kamen dann Tabletten dazu. „Ich wollte mich mal umbringen und hab Tabletten genommen. Ich hab mich total locker gefühlt.“ So normal er das erzählt, so normal war der Dauerrausch für ihn. Später hat er wochenlange Erinnerungslücken. „Zum Teil haben Sie Ihr Hirn versoffen“, fragt der vorsitzende Richter. Und J. nickt.

Mehrere Verurteilungen zwischen Diebstahl und schwerer Körperverletzung, mehrere Jahre Gefängnis, aber auch eine sechs Jahre große Insel in einem Meer von Unglück: Zwischen 84 und 90 ist Meinhard J. clean. Er arbeitet, heiratet, wird Vater einer Tochter, doch als die Ehe scheitert, stürzt er jäh ab, verliert die Wohnung, wird mehrfach straffällig und landet im November 91 in Bremen.

Und so irgendwie sein Leben im wesentlichen verlaufen ist, so irgendwie kommt der 18. November und die Nacht neben Roste- Werner. Den ganzen Tag habe er am Bahnhof mit einem Kumpel getrunken. Als er mit Werner alleine gewesen sei, habe er auf ihn eingestochen. Dann sei er in der Stadt herumgeirrt, zur Weser, um sich dort von der Brücke zu stürzen, dann zum Bahnhof, wo ihm einer erzählt habe, „Du, der Werner...“. Voller Panik sei er in den nächstbesten Zug gestiegen, der hat ihn nach Hannover gespült und nach zwei Tagen hat er sich gestellt.

Warum mußte Roste-Werner sterben? Meinhard J. kann sich an nichts mehr erinnern. Und das Gericht wird sich wohl vor allem mit der Frage beschäftigen müssen, wie verantwortlich J. für sein Leben gemacht werden kann, und für das, was er in der Novembernacht getan hat. Der Prozeß wird am Freitag fortgesetzt. Jochen Grabler